Aktiv von Anfang an:
Den Bewegungsschatz füllen
Wer als Kind klettert, kickt oder rangelt, macht sich selbst Geschenke, von denen er oder sie noch als Erwachsene:r profitiert. Wie Bewegung in der Kindheit die Weichen für ein ganzes Leben stellen kann.
An dem Spruch „Radfahren verlernt man nicht“ ist etwas Wahres dran. Denn hat man diesen komplexen Bewegungsablauf erst einmal gemeistert, kann man ihn zeitlebens abrufen und selbst nach vielen Jahren Pause reaktivieren. Der Grund dafür ist das prozedurale Gedächtnis, ein Langzeitgedächtnis, in dem – grob gesagt – erlernte Fertigkeiten, Gewohnheiten oder Verhaltensweisen abgespeichert werden. Dieses Gedächtnis ermöglicht es, komplexe Fähigkeiten und Abläufe auszuführen, ohne dabei bewusst darüber nachzudenken.
Speziell in der Kindheit entwickelt sich das Gehirn rasant und bietet dementsprechend hohe Kapazitäten für verschiedenste Lernprozesse, weshalb diese Lebensphase optimal für das motorische Lernen genutzt werden kann. „Im Kindesalter wird die Basis für die weitere Entwicklung gelegt“, bestätigt auch Bewegungswissenschafterin Mariella Bodingbauer. „Das heißt nicht, dass man als Erwachsener nicht auch noch Bewegungsmuster neu lernen kann. Doch im frühen Kindesalter wird vorrangig das sensorische und motorische Grundgerüst ausgebildet, auf welchem dann aufgebaut wird. Dazu braucht es vor allem das Tun mit allen Sinnen und dem ganzen Körper – also Bewegung und Spiel. Je stabiler diese Basis, umso stabiler alles, was dann im Laufe eines Lebens darauf aufgebaut wird.“
Eine wichtige Rolle dabei spielen die Eltern, wie Choreographin und Sportwissenschafterin Gudrun Posedu ausführt: „Bereits im Kindergartenalter können die Kleinsten mithilfe von Bewegung ein positives Gesundheitsverhalten lernen. Die Eltern haben dabei eine wichtige Vorbildfunktion. Kinder schauen sich ihre Ideen ja ständig von den Größeren ab. Da macht es schon Sinn, sein eigenes Verhalten zu überprüfen.“
- Kinder brauchen abwechslungsreiche Bewegungsräume. Je mehr Sinne angesprochen werden, umso besser. Es geht darum, seinen Körper mit all seinen Möglichkeiten zu erforschen: Gleichgewicht, Krafteinsatz, Koordination der Arme und Beine gepaart mit gut darauf abgestimmtem Sehen und Hören, sowie Reaktionsfähigkeit etc.
- Dazu braucht es für kleinere Kinder oftmals keinen großen Aufwand. Dort, wo Kinder klettern, springen und balancieren können, wo sie laufen dürfen, Roller oder Laufrad fahren können und auch mal laut sein dürfen. Dort, wo sie die Möglichkeit haben sich auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln, dort ist man mit seinen Kindern sicherlich richtig. Das kann auf dem Spielplatz um die Ecke sein oder aber im Park oder Wald beim gemeinsamen Wochenendausflug.
- Selbst an Regentagen oder in der Wohnung gibt es viele Möglichkeiten für Bewegung zwischendurch. Die Teppichkante eignet sich ideal zum daran entlang Balancieren im Haus und mit Luftballonen können auch in beengten Räumen kleinere Spiele gespielt werden. Selbst „alte“ Spiele wie Blinde Kuh, Topfklopfen oder Verstecken eignen sich wunderbar als sinnvolle Bewegungsmöglichkeiten für zwischendurch.
- Je älter die Kinder werden, umso sportartenspezifischer darf das Bewegungslernen werden, zum Beispiel in einem Sportverein unter Anleitung von Trainerinnen und Trainern. Das klappt dann am besten, wenn im frühen Kindesalter die dafür notwendige breite Basis geschaffen wurde.
Vielfältiger Bewegungsschatz – vielfältiger Nutzen
Der Nutzen, den ein großer Bewegungsschatz auch im Erwachsenenalter hat, ist vielfältig und liegt nicht nur auf körperlicher Ebene:
- Koordination und Körperbeherrschung: In späteren Lebensjahren unterstützen sie die sportliche Leistungsfähigkeit und schützen vor Unfällen.
- Beweglichkeit und Flexibilität: Dehnübungen tragen dazu bei, dass Gelenke, Muskeln und Bänder auch im Erwachsenenalter flexibler und beweglicher sind, wodurch Einschränkungen und Verletzungen reduziert werden können.
- Körpergefühl und Selbstbewusstsein: Sport hilft, sich im eigenen Körper wohler zu fühlen und sorgt dadurch für mehr Selbstbewusstsein.
- Stressabbau: Wer als Kind die Erfahrung macht, dass körperliche Aktivität beim Umgang mit stressigen Situationen hilft, hat als Erwachsener damit eine gesunde Bewältigungsstrategie zur Hand.
- Positive Einstellung zur Bewegung: Werden in der Kindheit sportliche Erlebnisse mit positiven Erfahrungen verbunden, wird Bewegung als etwas Erfüllendes erlebt und die Motivation ist größer, auch in späteren Jahren aktiv zu sein.
- Soziale Fähigkeiten: Viele Bewegungsaktivitäten erfordern Zusammenarbeit und Interaktion mit anderen Kindern. Menschen, die als Kind zum Beispiel in einem Fußballverein waren oder anderen Teamsport betrieben haben, haben daher oft bessere soziale Fähigkeiten und können im Erwachsenenalter besser mit anderen Menschen kommunizieren und zusammenarbeiten.
Es ist nie zu spät
Mariella Bodingbauer: „Zum Erlernen von Bewegungsmustern braucht es ein Gehirn, das sich ein Leben lang anpassen und weiter entwickeln kann. Zum Glück hat uns die Natur damit ausgestattet. Im Kindesalter sind die Voraussetzungen geradezu ideal für das Lernen. Das kindliche Gehirn besitzt schier unendliche Möglichkeiten, sich in alle erdenklichen Richtungen zu entwickeln. Diese Möglichkeiten nehmen mit zunehmendem Alter zwar ab, vergehen aber nie ganz. Der Spruch „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nicht mehr“ ist somit schlichtweg falsch. Er müsste korrekt heißen „… lernt Hans nicht mehr so schnell“. Erwachsene brauchen einfach länger, um Bewegungsmuster zu erlernen und zu perfektionieren, aber aus Gehirnsicht ist im Grunde genommen alles möglich. Der Schlüssel zum Erfolg ist übrigens die Begeisterung – egal in welchem Alter. Sind wir mit Begeisterung und Freude bei der Sache, lernt es sich umso leichter und schneller!“
Zur Person
Mariella Bodingbauer ist Bewegungswissenschafterin. Sie arbeitet für die SPORTUNION Salzburg als Abteilungsleiterin „Sport und Bildung“ und ist Projektkoordinatorin für „Kinder gesund bewegen“.
Gudrun Posedu war Leistungssportlerin in Rhythmischer Gymnastik und führte danach 15 Jahre lang den Trainingsbetrieb für Nachwuchssportlerinnen. 1998 gründete sie die Tanzgruppe Dance Production Graz. Sie ist Choreografin und Inhaberin der Kommunikations-Agentur G PRformance.