Typ-2-Diabetes – Volkskrankheit auf leisen Sohlen
800.000 Menschen sind in Österreich von Diabetes-Typ-2 betroffen und mindestens 25 Prozent davon wissen es nicht einmal: Die Volkskrankheit bleibt oft (zu) lange unerkannt. Wenn sich Symptome zeigen, ist es meist schon zu spät. Falsche Ernährung und zu wenig Bewegung sind ihre Hauptursachen – eine Änderung des Lebensstils ist im frühen Stadium die beste Chance, sie zu bekämpfen.
Am 14. November ist Weltdiabetestag, der erstmals im Jahr 1991 ausgerufen wurde. Zu Ehren des am 14. November 1891 geborenen kanadischen Arztes Frederick Banting, der 1923 für die Entdeckung von Insulin den Medizin-Nobelpreis erhalten hatte. In Österreich ist dieser Tag einer, der nachdenklich stimmen muss: Die Medizinerin und ehemalige Vorsitzende der Österreichischen Diabetesgesellschaft, Dr.in Alexandra Kautzky-Willer, schätzt, dass zu den 800.000 an Typ-2-Diabetes erkrankten Menschen in Österreich noch einmal etwa 350.000 bis 400.000 Menschen mit Prädiabetes kommen, dem Frühstadium dieser Krankheit. Etwa 10.000 Menschen pro Jahr sterben hierzulande an Diabetes-Folgen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, 300 neue Dialysefälle jährlich sind ebenso auf Diabetes 2 zurückzuführen wie 200 Erblindungen.
„Das große Problem ist, dass diese Krankheit sehr schleichend und weitgehend unbemerkt entsteht und meist über viele Jahre geht, bevor eine Diagnose gestellt wird“, erklärt Kautzky-Willer. Oft wird Typ-2-Diabetes erst als Zufallsbefund bei Folgeerkrankungen entdeckt, wenn es eigentlich bereits zu spät ist – nach einem Herzinfarkt, Schlaganfall, oder wenn die Nierenfunktion bereits beeinträchtigt ist.
Zu viel Insulin, zu wenig Wirkung
Typ-2-Diabetes ist mit 90 Prozent aller Diabetes-Varianten die mit Abstand am weitesten verbreitete Form. Während bei Typ-1-Diabetes der Körper durch eine Autoimmun-Reaktion kein Insulin mehr produzieren kann, bleibt diese Fähigkeit beim Typ 2 erhalten – was Vorteil und Tücke zugleich ist. Denn einerseits kann man im Frühstadium auch ohne medikamentöse Behandlung wirkungsvoll eingreifen, andererseits wird die Erkennung dadurch verzögert.
Bei Typ-2-Diabetes wird die sogenannte Insulinresistenz wirksam. Im gesunden Körper setzt die Bauchspeicheldrüse bei der Aufnahme von Zucker in der Nahrung exakt die benötigte Dosis Insulin frei, um die Aufnahme von Glukose aus dem Blut in die Körperzellen zu ermöglichen – was auf natürliche Art den Blutzuckerspiegel immer wieder senkt. Ist dieser Prozess jedoch gestört, wirkt das Insulin nicht mehr ausreichend. Die Bauchspeicheldrüse schüttet daraufhin immer mehr davon aus, aber der relative Mangel bleibt, weil die Wirksamkeit nicht mehr gegeben ist. Der Glukosetransport aus dem Blut in die Zellen funktioniert nicht mehr, wie er sollte, und der Blutzuckerspiegel reguliert sich nicht mehr im erforderlichen Ausmaß. Gefäß- und Nervenschädigungen, Durchblutungsstörungen, Veränderungen an Knochen und Haut, Schädigung der Augen und eingeschränkte Nierenfunktionen sind im fortgeschrittenen Stadium die Folgen.
Bewusst ernähren, viel bewegen
Ungesunde Ernährung, zu wenig Bewegung, viel Stress und wenig Schlaf können neben einer genetischen Disposition Auslöser für die Entstehung von Typ-2-Diabetes sein. Jüngste Studien zeigen, dass allein eine Änderung des Lebensstils das Risiko um 50 Prozent reduzieren kann. Bei manchen Personen in einem frühen Diabetesstadium hat die Reduktion des Körpergewichts um zehn bis 15 Prozent – verbunden mit konsequenter Umstellung der Ernährung und deutlich mehr Bewegung als davor – zu einer vollständigen Remission geführt.
Symptome treten bei Typ-2-Diabetes erst (zu) spät auf, weshalb diese Krankheit lange unerkannt bleiben kann. Umso wichtiger ist es vor allem für Risikogruppen, regelmäßig bei Vorsorgeuntersuchungen den Blutzucker untersuchen zu lassen. Menschen mit Adipositas, hohem Blutdruck, hohen Blutfettwerten oder Fettleber sind besonders gefährdet, ebenso Frauen nach einem Schwangerschaftsdiabetes und Menschen, bei denen Diabetes in der Familie gehäuft vorkommt. Die Vorsorgeuntersuchung ist deshalb besonders wichtig, weil sich Typ-2-Diabetes in einem frühen Stadium in manchen Fällen allein durch konsequente Lebensstil-Änderung heilen lässt.
Im gemeinsam besser leben-Podcast sprechen wir mit Prof. Dr. Martin Clodi, Präsident der Österreichischen Diabetes-Gesellschaft, über die verschiedenen Arten von Diabetes, was Stress und Ernährung damit zu tun haben, welchen Einfluss unsere Gene spielen und wie uns Bewegung dabei helfen kann. Gleich reinhören!
Zur Person:
Univ.-Prof.in Dr.in Alexandra Kautzky-Willer ist Leiterin der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel sowie der Gender Medicine Unit des Universitätsklinikums AKH Wien und der Medizinischen Universität Wien. Von 2017 bis 2019 war sie Vorsitzende der Österreichischen Diabetesgesellschaft.