Freewriting: Sich frei schreiben
Freewriting ist mehr als eine Schreibmethode. Im Fluss der Worte zu schwimmen, macht der Seele Spaß und erfrischt den Geist.
Gehören Sie auch zu den Menschen, die Schreiben hassen? Die sich durch jede Zusammenfassung eines Meetings quälen oder verzweifeln, wenn der Sprössling um Mithilfe bei einem Aufsatz bittet? Vielen von uns ist die Freude am Schreiben in der Schule ausgetrieben worden, als Texte fixe Strukturen und eine bestimmte Seitenanzahl haben mussten. Kein Wunder, dass die Lust am Fabulieren und der Strom der Worte dabei versiegten.
„In unserem Schulsystem wird kontrolliertes Schreiben befürwortet, Wortklauberei, jedes Wort muss exakt gewählt werden. Beim Freewriting komme ich dagegen in einen Flow, in dem viel passieren kann“, sagt Schreibtrainerin Judith Wolfsberger. „Wir alle wachsen mit dem Schreckensbegriff Themenverfehlung auf. Beim Freewriting herrscht das Gegenteil – es ist völlig egal, was einem in den Sinn kommt und die Themen können jederzeit wechseln. Auf gut Wienerisch ist Freewriting ein „Drauflosschreiben“ ohne Zensur. Man schreibt alles, was kommt, ohne es zu bewerten und liest es nachher nicht, um es zu korrigieren.“
Mittel gegen Schreibblockade
Freewriting wurde in den 1960er Jahren in den USA als Kreativmethode entdeckt, um vor allem Studentinnen und Studenten zu helfen, Blockaden beim Verfassen akademischer Texte zu überwinden. Judith Wolfsberger: „Freewriting kann zu einer Urmethode für viele verschiedene Dinge werden – etwa indem man den Entwurf für eine Kurzgeschichte, eine Diplomarbeit oder einen Zeitungsartikel auf diese Weise zu Papier bringt.“
Wie also funktioniert dieses freie Schreiben? Judith Wolfsberger hat in Anlehnung an die Anleitungen der Erfinder zehn Regeln dafür erstellt:
- Wähle einen Begriff oder ein Thema als Ausgangspunkt.
- Stelle eine Eieruhr auf 10, 15 oder 20 Minuten.
- Beginne einfach zu schreiben, was immer dir durch den Kopf geht.
- Die schreibende Hand bleibt immer in Bewegung.
- Lies nicht, was du geschrieben hast. Schreib einfach weiter.
- Nichts löschen oder wegstreichen
- Sorge dich nicht um Rechtschreibung, Satzzeichen und Grammatik
- Verliere die Kontrolle, folge einfach deinen Gedanken. Exkurse und Blödsinn sind ok.
- Wenn Du nicht weiterweißt, schreib so lange „mir fällt nichts ein“, bis wieder ein neuer Gedanke kommt...
- Wenn die Zeit um ist, schreib den angefangenen Gedanken fertig und dann stopp! Freu dich aufs nächste Mal.
Schreiben schafft Klarheit
Was sich spielerisch und lustvoll anhört, besitzt einige unerwartete, positive Nebeneffekte. Denn Freewriting ist eine Art Selbstgespräch auf Papier, und wie bei einem guten Gespräch entsteht beim Freewriting Klarheit. „Aufschreiben bringt Dinge hervor, die nicht hervorkommen, wenn ich nur mit jemandem rede. Durch das Aufschreiben werden Dinge wie Gedanken und Gefühle materialisiert und dadurch klarer. Die Autorin Julia Cameron nennt es eine „unrühmliche Gehirnentleerung“.
„Es hilft, Klarheit über Dinge zu finden, die diffus erscheinen und dadurch auch, zu entspannen. Wenn ich regelmäßig Freewriting praktiziere, beginnt es, seine wirksame und heilsame Wirkung zu entfalten. Ähnlich wie regelmäßiges Meditieren ist es sinnvoll, es daher in den Tagesablauf einzubauen.“, so Judith Wolfsberger.
Wer jetzt Lust bekommen hat, selbst auszuprobieren, sich mit dem Strom der Worte treiben zu lassen, für den hat die Schreibtrainerin noch einen weiteren praktischen Tipp: „Ihr Notizbuch oder Block sollte nicht zu aufwändig sein. Bei Ledereinband und Büttenpapier scheut man eher davor zurück, einfach willkürlich loszuschreiben. Seien Sie dafür wählerisch, was Ihr Schreibgerät betrifft. Es sollte gut in der Hand liegen und Ihnen flüssiges Schreiben ermöglichen ohne dabei zu ermüden. Gut geeignet dafür sind Füllfedern mit breiten Federn, Faserschreiber oder Filzstifte.“
Judith Wolfsberger: Schafft euch Schreibräume! Weibliches Schreiben auf den Spuren Virginia Woolfs. Ein Memoir. Böhlau Verlag 2018, ISBN 3205206355
Zur Person:
Judith Wolfsberger ist Schreibtrainerin und Autorin. Nach ihrem Studium in den USA, wo sie Creative Writing studierte, und ihrer Ausbildung zur Schreibtrainerin in Berlin, gründete sie 2002 das writers studio in Wien, ein privates Schreibinstitut mit Schwerpunkt auf angloamerikanischer Schreibdidaktik.