Wie gesund ist die 30-Stunden-Woche?
Bringt weniger mehr? Ein paar Gedanken zur 30 Stunden-Arbeitswoche als scheinbar perfektes Mittel für mehr Jobzufriedenheit und Lebensqualität.
Im Herbst 2018 machte eine kleine oberösterreichische Online Marketing Agentur Schlagzeilen, als sie die Arbeitszeit für ihre 25 Mitarbeiter von 40 auf 30 Stunden reduzierte, und das bei vollen Bezügen. Während die Tatsache, dass manche Angestellte 60-Stunden-Arbeitswochen haben, bei den Massenmedien im Allgemeinen den Neuigkeitswert des umfallenden Reissacks in China besitzt, verursachte die Senkung der Wochenarbeitszeit in der oberösterreichischen Agentur ein Rauschen im Blätterwald bis hin zum amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes. Sind wir zu so einer Leistungsgesellschaft geworden, dass es geradezu exotisch ist, Menschen mehr Freizeit statt mehr Geld zu geben?
Was bedeutet das eigentlich: Zeit ist Geld?
Zeit statt Geld
Dabei ist es gerade das, was – speziell bei Millennials – besonders gefragt ist. „Das Gehalt ist kein Anreiz mehr für einen Job, wie Umfragen unter jungen Berufseinsteigern ergeben haben. Ihnen sind Zeit und eine gute Work-Life-Balance wichtiger als Geld“, bestätigt auch Klaus Hochreiter, CEO von eMagnetix, in einem Vortrag. Daher kürzte sein Unternehmen die Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche, konkret sechs Stunden pro Tag, und schuf damit pro Monat etwa 50 Stunden mehr Freizeit, aufs Jahr gerechnet rund fünf Wochen.
Nach einem Jahr mit diesem neuen Arbeitszeitmodell wurde Bilanz gezogen und diese fiel durchwegs erfreulich aus. Wie sich zeigte, schätzten die Mitarbeiter am neuen Arbeitszeitmodell besonders, mehr Zeit für gesunde Ernährung, Sport, Schlaf und Erholung zu haben. 83% gaben sogar an, sich gesünder als zuvor zu fühlen. Ist also die 30-Stunden-Woche das Arbeitszeitmodell der Zukunft?
Unterschiedliche Bedürfnisse
Dr. Daniela Haluza vom Zentrum für Public Health der Med-Uni Wien bremst die Erwartungen. Die Gesundheitsexpertin erforscht, wie sich verschiedene Faktoren auf Gesundheit und Wohlbefinden von arbeitenden Menschen auswirken: „Man kann Berufsgruppen schwer miteinander vergleichen und schon gar nicht alle über einen Kamm scheren. Was für den einen passt, passt oft nicht für den anderen. Pflegekräfte im Krankenhaus haben sich in Studien für lange Arbeitszeiten mit 12-Stunden-Diensten ausgesprochen, um dann geblockt Freizeit zu haben. Etwas, das für einen Arbeiter am Bau, der zusätzlich Schadstoffen ausgesetzt ist, eine große gesundheitliche Belastung wäre.“
Eine spezielle Berufsgruppe sind beispielsweise auch Start-up-Entrepreneure. In der Aufbauphase ihres Unternehmens sind Wochen mit 60 oder 80 Stunden Arbeit keine Seltenheit und werden von den Jungunternehmern meist gerne in Kauf genommen. Daniela Haluza: „Das Geheimnis ihrer Leistungsbereitschaft liegt in der Motivation. Wer eine Vision hat, ein Ziel, auf das er hinarbeitet und dabei auch noch sein eigener Chef ist, investiert gerne auch mehr als 30 Stunden pro Woche.“
Gesundheitsfaktor Wohlbefinden
So entscheiden viele äußere wie innere Faktoren, ob Wochenarbeitszeit als zu lang oder optimal wahrgenommen wird. Als Beispiele nennt Daniela Haluza das Tageslicht und soziale Interaktion: „Es hat sich gezeigt, dass jemand, der bei natürlichen Lichtverhältnissen arbeitet, produktiver ist. Ebenso wenn er sich in seinem Arbeitsumfeld, wie zum Beispiel in seinem Team, wohlfühlt. Und Menschen, die sich wohlfühlen, sind per se gesünder, egal ob sie 30 oder 40 Stunden arbeiten.“
Schlüsselfaktor Pausenmanagement
Unabhängig vom Arbeitspensum bewirkt noch ein anderer Faktor maßgeblich, ob Arbeit belastet oder nicht – und dieser heißt Pausenmanagement. Daniela Haluza: „Die Vermischung von Arbeit und Freizeit macht es schwer, abzuschalten und zu regenerieren – auch auf körperlicher Ebene. Checkt man zum Beispiel am späten Abend seine Firmenmails am Handy, hat das blaue LED-Licht einen Einfluss auf die Frequenz der Gehirnwellen und das wiederum auf die Schlafqualität. Abgesehen davon, dass die Beschäftigung mit Jobthemen ebenfalls schlafraubend sein kann.“
Die 30-Stunden-Woche besitzt ihre Vorzüge, sofern sie den Mitarbeiter ein Mehr an Lebensqualität bringt. Ein Allheilmittel, um in jeder Branche Jobzufriedenheit und damit Produktivität und Gesundheit zu verbessern, ist sie jedoch nicht.
Zur Person:
Ass.-Prof. DDr. Daniela Haluza hat Humanmedizin und Angewandte Medizinische Wissenschaften studiert und ist Assistenzprofessorin am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien. Ihr Forschungsgebiet liegt im Bereich Arbeits- und Umweltmedizin und Wissenschaftskommunikation. Sie forscht zu Fragen der öffentlichen Gesundheit und wie natürliche Umgebungen zur menschlichen Gesundheit und zum Wohlbefinden beitragen.