Depression: Ebenso traurig, aber anders
Depressive Störungen betreffen Männer genauso wie Frauen, sie zeigen sich meist jedoch verschieden.
Rudi P. ist Mitte 40 und hat einen fordernden Beruf, dazu ist er begeisterter Marathonläufer. Seit sich seine Frau vor einem Jahr von ihm getrennt hat, hat er sein Trainingspensum sogar noch gesteigert. Seine Kollegen nennen ihn ehrgeizig, verbissen oder auch eisern. Als er wegen zunehmender Schlafstörungen seinen Hausarzt konsultiert, erkennt dieser, was tatsächlich hinter Rudis Symptomen steckt: eine depressive Störung
„Männer haben die Tendenz, Dinge an ihnen, die nicht der Norm entsprechen, zu verstecken. Das gilt auch für physische oder psychische Krankheiten. Bei einer depressiven Störung ist das insofern ein Problem, als diese nicht so klar erkennbar ist wie beispielweise Angst, die sich in Panikattacken äußert. Daher dauert es oft lange, bis die Warnsignale einer depressiven Störung so deutlich sind, dass sie diagnostiziert werden kann“, erklärt Psychotherapeut Dr. Heinrich Steinek.
Schleichender Beginn
Depressive Störungen gelten als Volkskrankheit und man schätzt, dass jeder fünfte Mensch im Laufe seines Lebens davon betroffen ist. Meist entstehen sie schleichend, ohne dass ein konkretes Ereignis vorausgegangen ist und können erst nach Monaten oder sogar Jahren manifest werden – etwa durch ein Lebensereignis wie die Pensionierung oder den Tod eines Angehörigen.
Früher herrschte die Meinung vor, Depressionen seien weiblich. Tatsache ist, dass Frauen doppelt so häufig wegen Depressionen in Behandlung sind wie Männer. Was vermutlich auch daran liegt, dass sie eher bereit sind einen Arzt aufzusuchen als Männer.
Als Ursachen für depressive Störungen bei Frauen werden von der Medizin Hormonschwankungen ins Treffen geführt. Als soziokulturelle Ursache kommt Mehrfachbelastung ins Spiel – denn meist sind es die Frauen, die neben ihrem Beruf auch die Familie managen oder Angehörige pflegen. Und nicht zuletzt wird Frauen per se eher zugestanden, Schwäche zeigen zu dürfen.
Zu den Risikofaktoren, die bei Männern eine Depression hervorrufen können, gehören dagegen körperliche Erkrankungen, Probleme im Beruf oder in der Beziehung, Drogen- und Alkoholkonsum, Einsamkeit (speziell auch in Kombination mit TV- oder Internetkonsum) oder einschneidende Lebensereignisse.
Verleugnung und Flucht
So wie die Auslöser für depressive Störungen je nach Geschlecht unterschiedlich sind, sind häufig auch die Ausprägungen und Bewältigungsstrategien anders. Heinrich Steinek: „Männer haben die Tendenz, zu verleugnen, dass es ihnen schlecht geht, reagieren mit Flucht in Sport oder Arbeit, kurzum übermäßige Aktivität, und sind häufig gereizt oder ungeduldig. Frauen ziehen sich entweder zurück oder entwickeln im Gegenteil ein größeres Bindungsbedürfnis und suchen bei ihrem Partner vermehrt Nähe und Sicherheit. Bei der Bewältigung greifen Männer eher zu Alkohol, während Frauen meist Medikamente wie Schmerz- oder Schlafmittel nehmen.“
Die Statistik spiegelt diese Verhaltensunterschiede wider. Das selbstschädigende Verhalten kann im Extremfall in Selbstmord münden, der bei Männern doppelt so häufig auftritt wie bei Frauen. Versuchte Selbstmorde, die gemeinhin als Schrei nach Hilfe gelten, sind wiederum bei Frauen häufiger.
Kombinierte Therapie
Heinrich Steinek: „Die Warnzeichen für eine depressive Störung zu erkennen ist häufig nicht einfach, da sich die Symptome mit anderen psychischen Störungen wie zum Beispiel Burnout überschneiden. Kennzeichnend ist ein Nachlassen der Leistung, das Gefühl von Energiemangel – Menschen haben das Gefühl, morgens bereits müde aufzustehen – Aufmerksamkeitsdefizite, Konzentrationsschwierigkeiten, sowie zunehmende Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen.“
Männer suchen häufig aufgrund der körperlichen Symptome (wie etwa Schafstörungen oder Schmerzen) einer depressiven Störung einen Arzt auf, sodass sie der erste Weg meist zum Hausarzt führt. Für diesen besteht die Herausforderung, die Depression hinter den belastenden körperlichen Symptomen zu erkennen, um die passende Therapie zu finden.
Die besten Ergebnisse zeigt dabei die Behandlung mit Medikamenten in Kombination mit Psychotherapie. „Auch da zeigt sich ein Unterschied zwischen Männern und Frauen. Nachdem Männer von Natur aus Probleme lösen wollen statt darüber sprechen, ist Verhaltenstherapie meist besser für sie geeignet als Gesprächstherapie“, so Heinrich Steinek.
Zur Person:
Dr. Heinrich Steinek ist Klinischer Psychologe sowie Psychotherapeut (Systemische Familientherapie) und hat eine Praxis im 9. Wiener Gemeindebezirk.