Fitness für die Lunge
Was der Lunge gut tut, tut dem ganzen Menschen gut. Und kann ihn sogar glücklicher machen.
In unserem Brustkorb steht ein Baum. Unsere Lunge. Eigentlich steht er auf dem Kopf. Die Luftröhre bildet seinen Stamm. Dieser teilt sich in die Bronchien und diese verästeln sich immer weiter und sind schließlich so zart, dass die Sauerstoffmoleküle in die Blutbahn gelangen können. Ausgekleidet sind die Bronchien mit einer Schleimschicht – in der auch viele Immunzellen sitzen, die dazu dient, Erreger und Schadstoffe vom Lungengewebe fernzuhalten.
Feuchtigkeitszufuhr für eine gesunde Lunge
Trockene (Heizungs-)Luft speziell im Herbst und Winter mag das feuchte Lungengewebe gar nicht, weshalb man mit Luftbefeuchtern oder feuchten Tüchern auf den Heizkörpern versuchen sollte 40-60% Luftfeuchtigkeit bei 20 Grad Raumtemperatur zu bewahren.
Als echter Booster wirkt Inhalieren – nicht nur, wenn man verkühlt ist. Gut ist es, dem Wasser etwas Salz beizumischen, das fördert zusätzlich die Durchblutung und Befeuchtung der Atemwege. Doch Vorsicht mit dem häufig empfohlenen Kamillendampfbad. Kamille ist zwar entzündungshemmend, wirkt aber auch austrocknend und ist daher nicht besonders gut für eine gesunde Lunge.
In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) werden Lebensmitteln unterschiedliche Wirkungen zugeordnet. Als befeuchtend etwa gelten Reis oder Birnen, und speziell bei Bronchitis oder Lungenentzündung werden Reis und Birnenkompott als helfende Mittel eingesetzt.
Atme dich frei
Jenseits dieser äußeren Hilfsmittel gibt es jedoch ein Instrument, das nicht nur die Lunge stärkt, sondern Einfluss auf den ganzen Körper, Geist und Seele hat – der Atem. Die Atempädagogin Christa Varkonyi kennt das aus eigener Erfahrung: „Der Atem ist die Schnittstelle zwischen Körper und Seele. Das Atmen ist so individuell wie ein Fingerabdruck. Es gibt keine zwei Menschen, die auf dieselbe Weise atmen. Ein Atemmuster, das sich verfestigt hat, kann Ausdruck von starren inneren Haltungen sein, die oft in Folge eines Traumas auftreten. Angst, Sorgen oder zurückgehaltene Gefühle verhindern ein freies Durchatmen.“
„Atmen hat viel mit der inneren Gefühlswelt zu tun“, sagt die Atempädagogin, „Atembeschwerden sind häufig ein Ausdruck von nicht gelebter Trauer oder Wut. Wenn jemand eine Lungenentzündung überstanden hat, und nachher ganz schlapp ist und zu mir zur Behandlung kommt, stelle ich die Frage: Was war vor der Lungenentzündung? Häufig kommt die Antwort, da hat sich mein Freund von mir getrennt oder da habe ich meinen Job verloren, und dieser Schmerz wurde dann mit Arbeit oder Sport überlagert, aber nicht ausgedrückt.“
Freies Atmen bedeutet auch, sich anzunehmen, wie man ist und Themen, die schwierig oder schmerzhaft sind, zuzulassen. Christa Varkonyi: „Wenn wir emotionalen Stress haben, sind unsere Muskeln angespannt, und wir können auch nicht ungehindert Atmen. Lösen wir emotionale Anspannung kann sich auch unsere Atmung lösen. Umgekehrt, wenn wir unseren Körper entspannen und unser Atem frei fließt, kommt es auch zu einem Stimmungsumschwung, und wir fühlen uns leichter und fröhlicher.“
Entsprechend dieser Tatsache wirkt alles, was Freude bereitet, zugleich stärkend für die Lunge. „Das sind beispielsweise Singen ohne Ehrgeiz, so wie wir es unter der Dusche tun, oder kleine Freuden im Alltag. Diese sollte man übrigens bewusst 5-20 Sekunden lang genießen, damit sich dieses Gefühl auch in unserem Körper manifestiert. Denn Freude findet nicht im Kopf, sondern im Körper statt“, sagt Christa Varkonyi.
Große Lunge – langes Leben
Wie stark die Lunge über den Weg des Atems mit den Emotionen verbunden ist, weiß auch der amerikanische Autor James Nestor. Er hat seine Erfahrungen in dem ebenso interessanten wie amüsanten Buch „Breath/Atem – Neues Wissen über die vergessene Kunst des Atmens“ zu Papier gebracht.
Er schildert ausgehend von seinen eigenen Atemproblemen (Schnarchen, Schlafapnoe, Lungenentzündungen), wie er durch Atemtechniken nicht nur wieder gesund wird, sondern auch in seinem Leben wieder in die Gänge kommt. Die Erkenntnisse, die er dabei macht, basieren auf jahrtausendealtem, teils in Vergessenheit geratenen Wissen, das zunehmend durch Studien untermauert wird: „In den 1980er-Jahren versuchten die Autoren der Framingham-Studie, eine 70 Jahre dauernde Langzeituntersuchung von Herzerkrankungen, herauszufinden, ob die Lungengröße tatsächlich mit der Lebenserwartung zusammenhing.
Sie nahmen Daten von 5200 Studienteilnehmern aus zwei Jahrzehnten, verarbeiteten sie und stellten fest, dass der sicherste Indikator für die Lebenserwartung tatsächlich nicht, wie oft vermutet, die Gene, die Ernährung oder die tägliche Bewegung waren, sondern die Lungenkapazität. Je kleiner und ineffizienter die Lungen wurden, umso schneller erkrankten die Versuchspersonen und starben.“
Bewusstes Atmen
Ein größeres Lungenvolumen lässt sich nicht von heute auf morgen erreichen, ein bewussteres Atmen allerdings schon, und dafür empfiehlt Christa Varkonyi: „Zu den körperlichen Voraussetzungen für einen frei fließenden Atem gehört ein guter Bodenkontakt. Zu spüren, dass man getragen wird. Das geht natürlich weder mit hohen Absätzen noch, wenn man die Beine überkreuzt. Weiters eine mühelos aufrechte Haltung, durchlässige Gelenke, sowie ein sogenannter Eutonus der Muskulatur – nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Spannung. "
„Speziell bei Stress hilft es, die Phase des Ausatmens zu verlängern. Das stimuliert das parasympathische System, den Entspannungsmodus. Alle Systeme streben nach Ausgleich, so auch der Atemrhythmus. Wir müssen gar nichts dazu tun, nur den Raum dafür schaffen indem wir beispielsweise Pausen einlegen. Wir selbst sind es meist, die sich querstellen, statt den Dingen einfach ihren natürlichen Lauf zu lassen. Wir glauben, Atmen hat auf eine bestimmte Weise zu geschehen, so wie wir glauben, auf eine bestimmte Weise sein zu müssen, statt einfach zu sein, wer wir sind", fügt sie hinzu.
Norbert Faller - Atem und Bewegung – Theorie und 111 Übungen; Springer 2018; ISBN-13 978-3662574959
Zur Person:
Christa Varkonyi ist Atempädagogin sowie Lebens- und Sozialberaterin. Sie konnte mit dieser Methode von einer obstruktiven Atemwegserkrankung genesen und arbeitet seit 20 Jahren als Atempädagogin. Lehrtätigkeit auch für die FH Hall/Tirol, die einen 2-jährigen Lehrgang Atempädagogik anbietet. In ihren Behandlungen verbindet sie Konzepte von Atemtherapie und Achtsamkeitslehre mit Erkenntnissen der Medizin und Psychosomatik.