Jetlag: Wer hat an der Uhr gedreht?
Fliegt man von einer Zeitzone in die nächste, fühlt man sich wie ferngesteuert. Chronobiologe Maximilian Moser erklärt, wieso das so ist, und wie unser Organismus nach einem Jetlag wieder seinen Rhythmus findet.
Herr Moser, Sie sagen, "Rhythmus spart Kraft und gibt auch Energie“. Können Sie uns das näher erklären und Ihren Ansatz als Chronobiologe vorstellen?
Jeder von uns kennt das Prinzip der Kinderschaukel: Wenn man den Anstoß zur richtigen Zeit gibt, so ist es leicht, die Schaukel in Schwung zu halten. So ist es auch mit den Körperrhythmen. Sie sind miteinander verbunden und schaukeln sich gegenseitig an. Dadurch wird die Arbeit erleichtert und Energie gespart. Bei Naturvölkern war und ist Arbeit oft mit Gesang begleitet. Indische Frauen setzen Reis im Rhythmus des „Reispflanzliedes“. Für Hirse und für Weizen gibt es wieder andere Lieder. Damit wird schwere Arbeit erträglich und kann leichter ausgeführt werden. An der Computertastatur lässt sich leider schlecht singen…
Welche drei Zeitgeber synchronisieren unser Leben?
Licht ist der wichtigste Zeitgeber, insbesondere Licht im Blau-Grünbereich, da sind unsere speziellen zirkadianen Sehzellen besonders empfindlich. Zum falschen Zeitpunkt, am Abend, kann dann blaues Licht zum Problem, zum „Rhythmusstörer“, werden. Nahrungsaufnahme kommt an zweiter Stelle und schließlich soziale Zeitgeber: Wenn in der WG alle noch schlafen, fällt es schwer, aufzustehen. Wenn in der Küche jedoch schon die Töpfe klappern, ist man dazu viel motivierter.
Was passiert, wenn wir mit einem großen Ortswechsel auch die Zeitzone verlassen?
Unsere Körperrhythmen sind an eine bestimmte Zeitzone angepasst. Sobald wir diese verlassen, benötigt der Organismus wieder einige Tage, um sich an die neue Zeitzone anzupassen. Das macht sich durch vegetative und durch Schlafstörungen bemerkbar.
Haben unsere unterschiedlichen Organe auch unterschiedliche Regenerationszeiten?
Man kann sich das etwa so vorstellen: Wenn wir von Europa in die USA fliegen, ist unser Gehirn schon nach ein paar Tagen in New York. Die Leber ist zu diesem Zeitpunkt erst in Irland, die Niere noch in Frankreich. Erst nach einigen Wochen sind alle Organe wieder beisammen.
Ist das bei jedem Menschen gleich oder gibt es da Unterschiede, wenn ja, woran liegt das?
Abendtypen, in der Chronobiologie auch als „Eulen“ bezeichnet, können sich in der Regel schneller umstellen als Morgentypen, „Lerchen“. Das hängt damit zusammen, dass die Abendtypen weniger starre Rhythmen haben und flexibel ausschlafen können, während die Lerchen sich damit schwerer tun.
Wie sieht es mit Alter und Geschlecht aus?
Kleine Kinder und ältere Menschen sind, nach einer Studie der Münchner Universität, eher Morgentypen, Studenten die klassischen Abendtypen. Frauen sind in der Regel vom Chronotyp her nicht so extrem wie Männer, sie halten sich mehr in der Mitte.
Welche Ernährungsform hilft, den Jetlag schneller zu überwinden?
Die alte Regel, die auch generell empfohlen werden kann: Frühstück wie ein König, Mittagessen wie ein Bürger, Abendessen wie ein Bettler. Konkreter: Kräftiges, eiweißreiches Frühstück, normales, nicht zu üppiges Mittagessen sowie ein frühes und leichtes Abendessen.
Wie steht es damit, Melatonin oder andere Präparate einzunehmen?
Melatonin kann sinnvoll sein. Ich würde es aber nur nehmen, wenn die einfacheren Regeln zur Einschlafunterstützung nicht helfen.
Wieviel Jetlag ist zu viel? Wann wird eine Reise zum erholsamen Urlaub, wann nicht?
Rechnen Sie einen Tag Akklimatisation pro Stunde Zeitverschiebung. Erst danach beginnt der Urlaub, erholsam zu werden.
- Am Abflughafen: Sich und die Uhr sofort auf die neue Zeit einstellen.
- Im Flieger möglichst viel schlafen, um ein Schlafdefizit sofort abzubauen.
- Nicht zurückrechnen, wie spät es zu Hause wäre.
- Nach Ankunft so gut wie möglich mit der neuen Zeit leben.
- Möglichst bald Essen zur ortsrichtigen Zeit.
Was hilft uns generell, gut zu schwingen?
Ein rhythmisches Leben im Einklang mit der Inneren Uhr, dem Tageslicht und Dunkel der Nacht, viel Naturerleben, Jahreszeiten, Jahresfeste erleben.
- Aus dem biologischen Rhythmus zu kommen ist nicht schwer, aber wie kommen wir wieder zurück?
- Das schnelle Einleben in die neue Zeitzone hilft bei der Synchronisierung unserer Organe, die sich dann auf eine neue Zeit-Kooperation einstellen.
Heiße Bäder (wenn man sie verträgt) helfen gegen Schlaflosigkeit, wenn man in der Nacht aufwacht und nicht mehr einschlafen kann. Kalte Duschen und ein kräftiges Frühstück am Morgen machen munter.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. phil. Maximilian Moser ist Gründer und Leiter des Human Research Instituts für Gesundheitstechnologie und Präventionsforschung in Weiz und Professor für Physiologie an der Medizinischen Universität Graz. Seine Schwerpunkte sind Chronobiologie, Stress- und Erholungsforschung, Vegetative Regulation und Schlafforschung. Sein Buch Vom richtigen Umgang mit der Zeit ist im Verlag Ullstein/Allegria erschienen.