Wandern bei Regen?
Wenn es draußen nieselt oder nebelt, zieht es die meisten vermutlich aufs Sofa. Doch gerade danach hat die Natur besondere Reize, weiß Bergwanderführer Michael Kölbl.
Berge, Wald und Wandern – da tauchen sofort die Bilder von traumhaften Sonnenaufgängen oder schattigem Laubdach vor dem inneren Auge auf. Nicht so bei Michael Kölbl. Denn der geprüfte Bergwanderführer weiß, dass uns die Natur bei oder nach einem Regenschauer sinnliche Erlebnisse bietet, die ein Sonnentag nicht zustande bringt: „Regen verändert die Landschaft auf einzigartige Weise. Aber das ist natürlich nicht für alle was. Was die einen begeistert, empfinden andere womöglich als beschwerlich. Deshalb ist es eine individuelle Entscheidung, im oder nach dem Regen wandern zu gehen. Trotzdem möchte ich unbedingt die Einladung aussprechen, hinauszugehen, weil das Naturerlebnis so faszinierend ist.“
Aufatmen nach dem Regen
Dass ein Wald oder eine Wiese nach einem Regenguss intensiv duftet, ist nicht nur angenehm, sondern sogar gut für die Psyche und die Gesundheit. Blüten, Blätter oder Nadeln enthalten ätherische Öle. Bei Nadelbäumen sind das vor allem Monoterpene, die stimmungsaufhellend und entzündungshemmend wirken. Durch Nässe werden sie gelöst und gelangen über die Atemluft in den Körper.
Allergiker können bei einem Spaziergang über eine Wiese nach einem Regenguss aus einem weiteren Grund aufatmen. Die Luft ist dann reingewaschen. Sie enthält viel weniger Pollen, und dadurch fällt das Atmen leichter. Zugleich hat der Regen die Luftteilchen ionisiert, ein Effekt, den man auch neben einem Wasserfall hat, und darüber freut sich ebenfalls die Lunge. Das Gefühl, tiefer und freier atmen zu können, kommt also nicht von ungefähr. Dass sich die Haut genauso über viel Luftfeuchtigkeit freut, ist auch klar. Der strahlende Teint nach einem Spaziergang im Nebel ist vielleicht eine gute Motivation, um den inneren Schweinehund zu überlisten und auch bei Schmuddelwetter ins Freie zu gehen.
Erlebnis mit allen Sinnen
Michael Kölbl: „Nicht nur während, sondern auch nach dem Regen klingt der Wald ganz anders. Vom Boden aus kaum zu sehen wird die Dimension des Blätterdachs richtig gut hörbar. Fährt danach der Wind durch die nassen Blätter, dann prasseln satte Tropfen herab und verraten auch im dichten Wald etwas über seine Beschaffenheit. Selbst ein sanftes Rascheln der feuchten Blätter in den Kronen klingt hier völlig anders.“
Ebenso sehen Pflanzen und Bäume nach einem Regenguss im wahrsten Sinne des Wortes wie frisch gewaschen aus, und ihre Farben glänzen besonders intensiv. Aber nicht nur das. Michael Kölbl: „Dann sind weniger Ameisen unterwegs, dafür aber mehr Schnecken oder andere Tiere. Wenn man beim Dahinschlendern auch noch den Kopf gesenkt hält, um nicht auf sie zu treten oder um nicht auszurutschen, hat das schon etwas sehr Meditatives.“
Nicht zuletzt sind bei einer Wanderung im oder nach dem Regen viel weniger Menschen unterwegs und – wie Michael Kölbl erinnert: „Wenn man dazu neigt, auch unterwegs immer wieder aufs Handy zu schauen, macht man das bei Regen natürlich nicht. Und so rückt der Alltag noch ein Stück weiter weg als er das bei einer Wanderung eh schon tut.“
Praktische Tipps für eine Regenwanderung
- Es gilt der altbekannte Spruch: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“. Ein Regenschutz sollte natürlich bei jeder Wanderung dabei sein. Zumindest in Form eines Regenponchos. Dieser hat den Vorteil, dass man ihn auch über den Rucksack geben kann.
- Hat man eine wasserabweisende Wanderjacke, braucht man natürlich einen zusätzlichen Regenschutz für den Rucksack. „Es gibt nichts Schlimmeres als nass zu werden, und dann festzustellen, dass die Ersatzkleidung ebenfalls nass ist“, weiß Michael Kölbl.
- Atmungsaktive Funktionskleidung ist weit besser als Baumwollkleidung. Denn Baumwolle trocknet extrem langsam und feuchte Baumwolle auf der Haut sorgt zusätzlich für den sogenannten Windchill-Effekt, man friert also noch mehr.
- Bei Schuhen liegt das Augenmerk auf einer guten Sohle. Michael Kölbl: „Viele Sportschuhe sind zwar regenfest, haben aber eine glatte Sohle, und das ist im Regen, wenn es gatschig und dadurch rutschig ist, natürlich nicht zu empfehlen.“
- Apropos rutschig. Auch da hat der Bergwanderführer einen Tipp: „Immer möglichst flach aufsteigen und mit ganzer Sohle, so hat man den besten Grip.“
3 Ausflugstipps nach dem Regen
- Eine der Dachsteinhöhlen ist die Koppenbrüllerhöhle. Ihren Namen hat sie, weil sich das Wasser der Koppentraun nach großen Regenfällen oder der Schneeschmelze brüllend seinen Weg durch den Berg bahnt. Bei geführten Trekkingtouren kann man dieses Naturschauspiel erleben: Himmel und Höhe
- Im Nationalpark Hohe Tauern, im Defereggental, liegen die Gritzer Seen. Für gewöhnlich sind es drei kleine Karseen. Außer nach großen Regenfällen, dann verschmelzen sie zu einem See: Gritzer Seen in St. Veit i.D.
- An der Südseite der Hochschwabgruppe liegt der Grüne See. Mit der Schneeschmelze steigt sein Wasserspiegel, und auch der Park um ihn herum versinkt. Es entsteht eine mystische Unterwasserlandschaft, die man jedoch nur vom Ufer aus bestaunen kann: Tragöß - Grüner See
Regen verändert also die Natur und Landschaft und macht eine Wanderung mit der passenden Ausrüstung zu einem ebenso sinnlichen wie gesundheitsfördernden Erlebnis.
Zur Person:
Michael Kölbl ist ausgebildeter Bergwanderführer. Parallel zu seiner Tätigkeit in der Wissenschaftskommunikation der TU beschäftigte er sich intensiv mit Kunst und Natur und beschloss 2018, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Seither bietet er Privatpersonen und Firmen die Möglichkeit, im Rahmen von individuell geführten Wanderungen, Entspannung oder Aktivierung zu erfahren, wobei er auf den Touren auch sein Wissen aus Qi Gong, Yoga oder Atemtechniken einfließen lässt.