Zwischen Besorgnis und Beschwichtigung: Was man bisher über Coronavirus-Mutationen weiß
Es gibt eine britische, eine südafrikanische, eine brasilianische und inzwischen gilt die indische als besonders besorgniserregend: Die neuen Varianten des Coronavirus SARS CoV-2 beschleunigen aktuell das Pandemiegeschehen. Welche Probleme gehen von diesen Mutationen aus – und was sind mögliche Folgen für die Impfung?
An sich ist die Entwicklung keine überraschende: „SARS-CoV-2 ist ein RNA-Virus und alle RNA-Viren mutieren per se sehr häufig. Es kommt daher nicht unerwartet, dass wir nun auftretende Mutationen beobachten können“, betont die Virologin Monika Redlberger-Fritz von der Medizinischen Universität Wien. Die Änderungsgeschwindigkeit sei im Moment „glücklicherweise noch relativ gering.“
Die meisten Mutationen ohne Effekt
Viren vermehren sich, indem sie laufend Kopien von sich selbst anfertigen. „Und jedes Mal, wenn das Virus eine Kopie von sich macht, kann es zu einer Mutation kommen“, erklärt Luisa Cochella, Molekularbiologin am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie am Vienna Biocenter.
Die meisten Mutationen haben keinen Effekt oder führen dazu, dass das Virus schlechter arbeitet – sie breiten sich dann auch nicht aus. Manche Veränderungen hingegen machen das Virus besser und effektiver: Sei es, dass es sich dadurch besser vermehrt, noch rascher in eine Zelle gelangt oder das Immunsystem noch geschickter umgeht – letzteres nennt man Immunevasion. Die Variante einer vorteilhaften Mutation breitet sich eher aus.
„Wissen nicht, wie es sich weiterentwickelt“
Dass aktuell scheinbar viele verschiedene Mutationen gleichzeitig auftauchen, liegt auch an Versäumnissen in der Vergangenheit: „Wir haben zugelassen, dass das Virus sich rund um den Globus verbreitet, ohne es zu analysieren, zu sequenzieren – und das beinahe ein Jahr lang“, betont Cochella. „Die erste Sequenzierung erfolgte im Jänner 2020. Seitdem haben Millionen von Infektionen weltweit stattgefunden. Das heißt, das Virus hat sich millionen- und abermillionenfach vervielfältigt.“ Nur wenige Länder wie England oder Dänemark haben recht früh mit Virussequenzierungen begonnen.
2.400 Proben pro Woche
Luisa Cochella, Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie und ihr Team beobachten seit knapp zwei Monaten Ausschnitte der Genomsequenz des Sars-CoV-2-Virus. Das Monitoring des Forscherteams umfasst derzeit rund 15 Prozent aller positiven Proben österreichweit. Mit der „SARSeq“-Sequenzierungsmethode können sie pro Woche rund 2.400 Proben analysieren. Sie beobachten genau jenen Teil des Spike-Proteins, der zum Eindringen in die menschlichen Zellen notwendig ist. „Damit können wir das Virus beim Mutieren beobachten.“
„Wildtyp“ nur in zehn bis 20 Prozent der Fälle
Was man sieht: Die ursprünglich in England beschriebene Variante B.1.1.7 hat sich im Osten flächendeckend durchgesetzt, während sich in Tirol die südafrikanische B.1.351 relativ konstant hält. Zuletzt wurde in Salzburg vermutlich auch die brasilianische Mutation B.1.1.28 P.1 gesichtet. Den „Wildtyp“ findet man nur noch in zehn bis 20 Prozent der Proben, der „Rest“ sind Variationen.
Auswirkung auf Gefährlichkeit noch unklar
Welche Auswirkungen Mutationen auf die Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 haben, wird nun sehr genau beobachtet. „Es bestehen beide Möglichkeiten: Einerseits dass sie infektiöser oder pathogener werden, andererseits aber auch, dass sie weniger ansteckend oder weniger pathogen werden“, erklärt Virologin Redlberger-Fritz. Denn: „Mutationen geschehen rein nach dem Zufallsprinzip.“
Was konkret bedeutet „infektiöser“?
Was es konkret bedeutet, wenn ein Virus infektiöser wird, veranschaulicht Cochella am Beispiel des nicht korrekten Maskentragens: „Mit einer schlecht sitzenden FFP2-Maske hat man nur partiellen Schutz. Ist man infiziert, gelangen dann vielleicht zehn – anstatt sonst 100 Viruspartikel – in die Luft. Hat nun das Ursprungsvirus vielleicht 100 Partikel gebraucht, um jemand anderen zu infizieren, genügen dem mutierten Virus womöglich diese zehn Partikel.“
Trickst die Körperabwehr aus
Durch laufende Veränderungen entzieht sich das Virus zunehmend dem Abwehrsystem, das auf den Wildtyp „geschult“ ist. Die neuen Varianten können sich auch in Teilen der Bevölkerung ausbreiten, die bereits eine gewisse Immunität besitzen. „Mutationen könnten auch Impfungen weniger wirkungsvoll machen und dem Immunsystem bereits Infizierter entgehen“, beschreibt Cochella die Befürchtungen. „Bei einer Reinfektion können sie den Wildtyp gut abwehren, ein mutiertes Virus werden sie aber womöglich nicht wieder so einfach los.“
„Müssen Impfstoffe wahrscheinlich anpassen“
Auch wird befürchtet, dass aufgrund der Mutationen die Impfung an Wirkung verliert oder irgendwann gar nicht mehr wirkt. Müssen wir uns dann womöglich jährlich gegen Corona impfen lassen? „Eine Vorhersage dahingehend ist nicht möglich“, betont die Virologin Redlberger-Fritz. „Es wird wahrscheinlich so sein, dass die Impfstoffe einmal angepasst werden müssen. Wann das genau eintritt, lässt sich jedoch nicht vorhersagen.“
Testen, Contact Tracing, Impfen
Das Wichtigste derzeit: „Wir dürfen nicht zulassen, dass das Virus weiter mutiert“, unterstreicht Cochella. „Die Zahl der Neuinfektionen zu senken, ist die einzige Möglichkeit, um das Virus unter Kontrolle zu bringen und weitere Mutationen einzudämmen. Das funktioniert, indem wir uns an die empfohlenen Maßnahmen halten, durch Contact Tracing – ganz besonders bei den besorgniserregenden Mutationen –, Testen und die Impfung."