Generationenwohnen: Jung und Alt unter einem Dach
Wenn das nächste Mal eine Seniorin auf dem Skateboard an Ihnen vorbeidüst, wundern Sie sich nicht: In der Nähe gibt es vielleicht ein Generationenwohnprojekt.
Generationenwohnen bringt Jung und Alt zusammen unter ein Dach. Das erlaubt jeder Generation, von den Erfahrungen und Fähigkeiten der jeweils anderen Generationen zu profitieren.
Neben praktischen Vorteilen wie mehr Sicherheit für Senioren, Babysittern für Familien und niedrigeren Mieten für junge Menschen sorgt das auch für ein bunteres Wohngefühl. Denn jede Generation lernt die Lebensentwürfe der anderen kennen.
Mehr Gemeinschaft
Der soziale Charakter ist vielleicht das Wichtigste am Generationenwohnen. Denn viele Österreicher wohnen allein und gerade unter Senioren ist Einsamkeit weit verbreitet. Ganze zwei Drittel haben Angst vor Einsamkeit und die Hälfte der 60-bis-69-Jährigen befürchtet, dass sie dieses Schicksal auch tatsächlich erwartet.
15 Prozent der Männer in Österreich und 18,2 Prozent der Frauen aller Altersstufen leben allein (2017). Vor fast fünfzig Jahren – 1971 – waren es nur jeweils 5,4 Prozent und 11,9 Prozent (Quelle: Eurostat).
Die steigende Zahl der Single-Haushalte trägt dazu bei, dass das Österreichische Rote Kreuz die Zahl seiner freiwilligen Helfer im Besuchsdienst zwischen 2014 und 2017 um ein Drittel steigern musste – denn der Bedarf älterer Menschen nach Gesprächspartnern steigt. Einsamkeit ist aber längst nicht nur etwas, was Senioren und Seniorinnen betrifft: Junge Menschen zwischen 16 und 24 Jahren fühlen sich laut einer britischen Studie sogar isolierter als Pensionisten.
Hier tritt Generationenwohnen auf den Plan. Indem Jung und Alt zusammen wohnen, erhalten alle ein soziales Netzwerk mit persönlichem Kontakt, helfen einander aus und fühlen sich nützlich.
Chronische Einsamkeit ist laut Forschern der University of Utah so gesundheitsschädlich wie das Rauchen von 15 Zigaretten am Tag. Das beste Gegenmittel: Persönlicher Kontakt.
Silver roommates, von WGE bis ÖJAB
Wie sieht ein Generationenwohnen-Projekt aus? Im Grunde gibt es zwei Formen. Die erste: Senioren öffnen ihre Wohnung für Studenten, beide wohnen dann tatsächlich als „roommates“ zusammen, wie in einer klassischen WG. Das koordiniert zum Beispiel der Verein WGE! – Gemeinsam Wohnen (der inzwischen unter der Marke Wohnbuddy auftritt) für Wien und Umgebung. Die Studenten erhalten günstigen Wohnraum und unterstützen im Gegenzug ihre neuen Mitbewohner.
Das Modell ist zwar noch recht jung, trifft aber offenbar den Zahn der Zeit: Die WGE! kann sich „vor Anfragen kaum noch retten“ und will bald in ganz Österreich auftreten.
Mehrgenerationenwohnen-Projekte: Eine kleine Auswahl an Beispielen:
- Wohnanlage Messequartier, Graz
- Wohnanlage Lebensräume für Jung und Alt, Klagenfurt
- Dittelgasse, Wien Aspern
- LeNa, Engerwitzdorf
- Generationenwohnen 21, Wien Floridsdorf
- ÖJAB Generationen-Wohngemeinschaften, Wien Meidling
Die zweite Form von Generationenwohnen: Mehrere Generationen wohnen in getrennten Wohnungen, pflegen aber im gemeinsamen Haus engen Kontakt, es gibt dafür eigene Gemeinschaftsräume. Ob die Bewohner auch Küche und Wohnzimmer teilen, unterscheidet sich von Projekt zu Projekt.
Das Messequartier Graz ist ein Beispiel für diese Form von Generationenwohnen. Dort stehen den Bewohnern 5.000m² Gewerbe- und Gemeinschaftsfläche zur Verfügung, darunter ein Fitnessstudio oder ein Café. In Wien ist die Österreichische Jungarbeiterbewegung (ÖJAB) mit zwei Projekten aktiv, beide in Meidling.
Passt Generationenwohnen zu mir?
Kommt drauf an. Macht Ihnen das Zusammenleben mit älteren und jüngeren Menschen, auch Kindern, Spaß? Eigenbrötler werden mit dem Konzept eher nicht glücklich, ob jung oder alt.
Sie gehören zur jüngeren Generation? Mit einem ruhigen Lebensstil sind Sie in einem Generationenwohnprojekt definitiv im Vorteil: Häufige WG-Partys oder nächtliche Schlagzeugübungen lassen sich in der Regel weniger gut mit dem Mehrgenerationen-Konzept verbinden – aber man weiß ja nie, vielleicht ist Ihr älterer Mitbewohner auch begnadeter Drummer?
Sind Sie älter, kommen andere Fragen auf Sie zu. Generationenwohnen ersetzt kein ausgebildetes Pflegepersonal. Manche Aufgaben lassen sich aber durchaus in einer gut laufenden Wohngemeinschaft organisieren, sei es Hilfe beim Einkaufen oder eine Mitfahrgelegenheit zum Arzt. Wenn ein studentischer Mitbewohner die Uni hinter sich hat oder die Familie mehr Platz benötigt, steht ein Umzug bevor. Können Sie damit gut umgehen oder legen Sie Wert auf Kontinuität?
Eine (unvollständige!) Liste der Vorteile des Generationenwohnens
Senioren | Jüngere Generation | Familien (auch Alleinerziehende) |
Mehr sozialer Kontakt | Günstigeres Wohnen | Unterstützung bei der Kinderbetreuung |
Unterstützung bei Alltagsaufgaben | Ein Weg, andere Menschen zu unterstützen | Kinder wachsen mit mehreren Generationen unter einem Dach auf |
Eine neue Perspektive | Eine neue Perspektive | Eine neue Perspektive |
Mehrgenerationenwohnen: Eine Chance für die Zukunft
Generationenwohnen überbrückt die Distanz zwischen den Generationen und hilft gegen Einsamkeit und Langeweile. Gerade mit Hinblick auf den demografischen Wandel hat das alternative Wohnkonzept sehr viel Potenzial: Bis 2050 wird es laut Statistik Austria 2,6 Millionen Pensionisten geben, gegenüber 1,5 Millionen heute.
Wer weiß: Wenn sich das Generationenwohnen noch weiter durchsetzt, sehen wir vielleicht bald schon Studenten und Senioren gemeinsam die Bürgersteige auf dem Skateboard unsicher machen. An Langeweile ist dann nicht mehr zu denken.