Alt werden: Jeder Mensch ist ein Kunstwerk

„Alter ist nichts für Phantasielose“, hat die kürzlich verstorbene Lotte Tobisch ihr Buch genannt. Wie kann man das Alter also nonchalant meistern? Psychologe und UNIQA VitalCoach Bardia Monshi beatwortet unsere Fragen.

ältere frau am meer
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Wenn das Alter voranschreitet, haben viele Menschen Angst – wovor eigentlich?

Die Endlichkeit des Lebens ist ein gewaltiges Faktum. Die Zeit nimmt uns Chancen, Möglichkeiten und alles, was uns lieb im Leben ist. Davor darf man schon Angst haben.

Aber ist der Umgang mit dem Alter nicht auch Einstellungssache? Kann ich es mir durch eine bestimmte Art von Bewusstsein erleichtern?

Da hilft nur echte persönliche Reifung und die erhalten wir nur durch die Bewältigung von Krisen und Schmerzen. Das Altern bietet davon eine Menge und mit diesen gilt es mitzuwachsen, über die Schmerzen hinauszuwachsen.

Vor allem Frauen kämpfen oft damit, plötzlich „unsichtbar“ zu erscheinen – sie haben Angst, ihre Attraktivität zu verlieren. Wie geht frau damit um?

Wirklich vor allem Frauen? Denken Sie an die zahllosen Männer, die verzweifelt ihre Haare festhalten wollen, sich dicke Autos zulegen, um dem Zahn der Zeit materielle Jugend entgegen zu setzen. Ich finde die meisten Männer und Frauen in unserer Gesellschaft im Umgang mit dem Altwerden erbärmlich. Sie können aber nichts dafür – wir leben in einer Kultur, die Anti-Aging popagiert und das Altern verdrängt. Das ist schade. Wer nicht produktiv oder attraktiv ist, wird bei uns tatsächlich unsichtbar. Das heißt aber nicht, dass wir im Alter unbedeutend werden müssen. Wir benötigen dafür eine positive Vision des Altwerdens.

Es hat eben alles seine Zeit, wir haben unsere Jugend, unsere kraftvollen Erwachsenenjahre und mit dem Alter haben wir das Potential zur Weisheit. Und Weisheit entsteht durch die Kultivierung von Wissen, Erfahrung und Liebe.

Und in der Weisheit hat alles einen Wert, den wir schätzen können. Da wird „Unsichtbarsein“ etwas Schönes. Jedes Kind hat schon einmal davon geträumt, unsichtbar zu sein. Da kann man plötzlich ganz man selbst sein, weil die Meinung der anderen nicht mehr wichtig ist. Und für die wirklich wichtigen Menschen bleiben wir bedeutend.

Welche Möglichkeiten sehen Sie denn, sich schon früh genug positiv auf den Alterungsprozess vorzubereiten?

Wir brauchen Weitblick. Daraus folgt auch eine Form von Spiritualität, der Glaube an ein Eingebettet-Sein in ein größeres Ganzes. Ich habe ja selbst drei Jahre in einem Geriatrie-Zentrum mit Menschen in der letzten Lebensphase gearbeitet. Das hat mir – einem Menschen, der so sehr an High Performance interessiert ist – doch sehr viel klar gemacht. Vor allem, dass die Probleme im Laufe der Jahre nicht kleiner werden: Das meine ich gar nicht pessimistisch, es ist einfach eine Tatsache. Als Kinder weinen wir, weil wir unser Lieblingsstofftier verloren haben, im Alter verlieren wir körperliche Funktionsfähigkeit und etwa unsere liebsten Menschen. Es ist offensichtlich: Das Leben besteht aus Abschiednehmen. Lerne, mit einem Verlust nach dem anderen umzugehen, sei dankbar für die Zeit mit deinen Liebsten, sie und du werden nicht bleiben, die Endlichkeit macht Mensch und Zeit so wertvoll. Also: Nicht davonlaufen, nicht verdrängen, mitwachsen mit den Lebensaufgaben, sonst wird es sehr schwer.

Ab welchem Alter sollte man damit beginnen, die eigene Endlichkeit bewusster zu sehen? 

Ich habe sehr früh in meiner Kindheit Verluste erlitten. Die Krise, dass alles Schöne schnell vergeht, hat mich ab dem 12. Lebensjahr schon massiv beschäftigt. Ich denke, dass die meisten Jugendlichen bereits in der Pubertät damit beschäftigt sind, was das ganze Leben überhaupt sein und werden soll.

Wenn Sie fragen, ab wann man damit beginnen soll, dann klingt das, als ob es hier etwas zu lernen gibt. Das ist aber nicht so. Hier gibt es nur etwas zu üben. Es nützt nicht zu wissen, dass das Leben endlich ist – es geht um ein Können, ein inneres Vermögen, diese Endlichkeit anzunehmen. Das entsteht nur durch die ganz konkrete Lebenserfahrung, also durch Übung. Dann werden wir fähiger, die Schönheit der Momente zu genießen und Frieden mit der Endlichkeit zu finden.

Diesen Frieden mit der Endlichkeit oder auch mit dem Alter als, wenn man so will, Beweis für diese Endlichkeit – den findet man in unserer Gesellschaft selten. Da geht’s eher um ein ewiges Jungsein. Ist das nicht sehr belastend?

Es ist eine Katastrophe. Eine Don Quijotterie, also ein Kampf gegen Windmühlen. Wer verlieren möchte, der kämpft gegen die Zeit. Wer gewinnen möchte, kämpft nicht, sondern fließt mit der Zeit, lässt sich verwandeln und wandelt sich.

Wie positioniert man sich in dieser Gesellschaft als bewusster, älterer Mensch?

In dem Sie sich bewusst machen, dass Sie sich im Alter nicht mehr positionieren müssen. Als älterer Mensch haben Sie viel erreicht und wenn Sie gereift sind, dann werden junge und alte Menschen ihre Anwesenheit schätzen. Ich habe Freunde, die sind deutlich in den 70ern. Ich liebe es, ihnen zuzuhören, ihren Humor und ihre Souveränität. Ein König oder eine Königin braucht sich nicht mehr zu positionieren. Das Altern ist eine Krone, jede Falte eine Zacke. Pflegen und tragen Sie sie mit Würde.

Singles, die altern und noch auf Partnersuche sind – sind sie speziell belastet, unter Druck?

Einsamkeit ist ein echter Killerfaktor und verringert die Langlebigkeit. Ich denke, dass Menschen das spüren. Aber Single sein bedeutet ja nicht, dass man/frau kein Sozialleben hat. Also Freundschaften pflegen, das wäre genug aus einer gesundheitspsychologischen Perspektive. 

Macht es jünger, sich mit jungen Menschen zu umgeben?

Das ist der konkreteste Praxistipp: Freunde dich mit der Jugend an, dann sterben einem auch nicht so leicht all die Sozialkontakte weg. Mit der Jugend in Kontakt zu bleiben, hält in jedem Fall jung, dafür muss man die Jugend halt in ihrer Neuartigkeit schätzen bzw. schätzen lernen – das hält auch offenherzig und damit jung.

Gibt es noch etwas, das Sie uns gerne mit auf den Weg geben wollen?

Altwerden ist Lebenskunst. In der Kunst gibt es kein richtig und falsch, es gibt nicht einmal ein Ziel zu erreichen, es gibt auch kein „fertig“. Beethovens Unvollendete ist nicht fertig, aber ein Kunstwerk. Jeder Mensch ist ein Kunstwerk, das das Leben gezeichnet hat.

Zur Person
Dr. Mag. Bardia Monshi ist Gründer und Geschäftsführer des Instituts für Vitalpsychologie und Eigentümer der APP eleMenta (www.elementall-app.com). Seit 1999 ist er als Psychologe, hypnosystemischer Coach, Trainer und Speaker tätig. Er und sein Team begleiten im Rahmen der Arbeits- & Organisationspsychologie in D-A-CH Menschen und Organisationen in der Entwicklung ihrer mentalen, sozialen und organisationalen Vitalität. 

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