Wege aus der Einsamkeit

Die Corona-Krise hat das Phänomen Einsamkeit deutlich verschärft. Warum das Thema dringend enttabuisiert werden muss und wie ein Weg aussehen kann, Einsamkeit wirksam zu begegnen.

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(c) Adobe Stock | Christian Schwier

Einsamkeit hat viele Gesichter und oft erkennt man sie nicht auf den ersten Blick. „Sie kann sich auch physisch bemerkbar machen und die Palette kann dabei sehr groß sein und von Bluthochdruck über innere Unruhe bis hin zu körperlichen Schmerzen reichen“, sagt Psychiater Thomas Wochele-Thoma.

Klar sei: „Ein zuvor bereits weit verbreitetes Phänomen wurde durch die Corona-Krise noch einmal deutlich verschärft. Wenn Menschen angehalten sind, ihre persönlichen Kontakte zu reduzieren, gibt es eben auch zunehmend mehr Menschen, die keine persönlichen Kontakte mehr haben. Einsamkeit nimmt zu und – anders als viele glauben – sind längst nicht nur alte Menschen davon betroffen.“

Wochele-Thoma spricht sich jedoch klar dafür aus, Einsamkeit nicht vorschnell zu pathologisieren. „Viel wichtiger wäre es, Einsamkeit zu enttabuisieren und Maßnahmen zu treffen, die Menschen dabei helfen, dieser oft sehr stillen Not wirksam zu begegnen. In unserer leistungsorientierten Gesellschaft heißt es von Menschen, die einsam sind, dass sie es alleine nicht „schaffen“, dabei ist Einsamkeit ebenso natürlich wie Hunger oder Durst. Wer hier nicht reagiert, kann mitunter auch gesundheitliche Folgeschäden riskieren. Denn im schlimmsten Fall kann Einsamkeit auch krankmachen.“

Einsamkeit als Handlungsimpuls

Das Gefühl von Einsamkeit hat evolutionsbedingte Wurzeln. Der Mensch ist ein Herdentier und hat im Laufe seiner Geschichte gelernt, dass er nur in der Gruppe überleben kann. Fehlt die Gruppe, sendet die Psyche ein Alarmsignal namens Einsamkeit aus: „Im Prinzip ist es dasselbe wie mit Hunger oder Durst. In jedem Fall besteht ein Mangel, und es ist von der Natur sehr sinnvoll eingerichtet, dass alle diese Zustände unangenehme Gefühle hervorrufen, weil uns unangenehme Gefühle den Impuls geben, etwas gegen sie zu tun“, erklärt Thomas Wochele-Thoma.

Und weiter: „Wenn man sich eingesteht, dass man einsam ist, ist damit ein erster Schritt getan, mit dem man sich entscheiden kann, wie man mit der Einsamkeit umgeht, ob man konstruktive Lösungen und Wege aus der Einsamkeit erprobt oder ob man versucht, die Symptome zu beseitigen und zu kompensieren – etwa mit „Ersatzbefriedigungen“ wie vermehrtem Essen, Alkohol oder Drogen, also etwas zu machen, um die körperlichen und psychischen Signale zu überdecken.“

Sinnerfüllt leben

Aber: Wie lässt sich dieses Bedürfnis nach anderen Menschen stillen? Vor allem dann, wenn man etwas kontaktscheu ist? Helfen Sie anderen! Studien belegen, dass Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, viel seltener einsam sind. Ein Grund dafür ist, dass man bei einer ehrenamtlichen Tätigkeit – sei es als Lesepatin oder Aushilfe in einer Kantine für Obdachlose – automatisch mit anderen Menschen in Kontakt kommt. Zum anderen schenkt eine regelmäßige ehrenamtliche Tätigkeit auch Tagesstruktur und gibt dem Leben Sinn, ebenfalls zwei wesentliche Faktoren zur Vermeidung von Einsamkeit.

Sozialkontakte in Firmen und Vereinen

Einen anderen Weg bringt Thomas Wochele-Thoma aufs Tapet: „Wesentliche soziale Interaktionen finden in der Arbeit statt, schließlich verbringen wir mit den Menschen im Büro – zumindest in Nicht-Corona-Zeiten – mehrere Stunden täglich. Daher ist es wichtig, auch diese Kontakte zu pflegen. Durch die Lockdowns müssen viele im Homeoffice arbeiten, zahlreiche soziale Interaktionen finden nicht statt. Wenn man merkt, dass sie einem fehlen, sollte man Alternativen suchen. Manche Teams haben jetzt virtuelle Jour Fixe ins Leben gerufen, bei denen nicht über die Arbeit gesprochen, sondern einfach nur geplaudert wird.“

Ähnlich ist es im Lockdown für Vereine, die sich sonst regelmäßig treffen, um gemeinsam ein Hobby zu pflegen. Statt dass man zu Hause sitzt und nur darauf wartet, dass die Vereinsaktivität wieder stattfinden kann, wäre es wichtig, sich Alternativen zu überlegen: Wo kann man virtuelle Räume nutzen, um sich zu begegnen, oder kann man sich im gesetzlichen Rahmen im Freien treffen, um gemeinsam spazieren zu gehen, zu sporteln und dabei den sozialen Kontakt weiter aufrecht zu halten?

Auf vier Pfoten aus der Einsamkeit

Wer Schwierigkeiten hat, auf andere Menschen zuzugehen, für den kann ein Tier eine Unterstützung sein. Thomas Wochele-Thoma: „Ein Haustier kann ein wunderbarer Begleiter auf dem Weg aus der Einsamkeit sein. Man interagiert mit dem Tier, und darüber hinaus kann man sich mit anderen Tierbesitzern austauschen. Nachbarinnen geben einander Tipps, wenn eine Katze zum Beispiel krank ist oder Katzenfreundinnen unterhalten sich über die Marotten ihrer Katzen. Und beim Gassigehen mit dem Hund trifft man automatisch andere Hundehalter, mit denen man in Kontakt treten kann.“

Schon allein solche kurzen Begegnungen können einem signalisieren, dass man wahrgenommen wird und mit der Welt in Kontakt ist. Und häufig ist das bereits genug, um sich weniger einsam zu fühlen. 

Zur Person: 
Dr. Thomas Wochele-Thoma ist Psychiater und Psychotherapeut. Er ist spezialisiert auf psychosomatische Medizin und ärztlicher Leiter der Caritas Wien. Seit mehr als zwei Jahren beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema Einsamkeit und unterstützt als Experte die Initiative „Reden Sie mit! Was macht Corona mit unserer psychischen Gesundheit?“ der Ludwig Boltzmann Gesellschaft.  


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