Der Wald: Arzt und Alleskönner?
Wer in den Wald hineingeht, kommt gesünder daraus hervor. Denn ein Wald ist viel mehr als nur eine Ansammlung von Bäumen. Er schützt, nährt, gibt Lebensraum, spendet Erholung und wirkt sogar positiv auf Körper, Geist und Seele.
Dass ein Waldspaziergang erholsam für die Seele ist, ist eine Binsenweisheit, dass er sogar körperlich heilsam ist, noch relativ neu. Wer dies schon länger weiß, sind japanische Forscher, die bereits in den 1980er Jahren ein Institut für Waldmedizin gründeten und für die es durchaus üblich ist, Menschen zur Erholung Shinrinyoku zu verordnen, was sich grob mit „Waldbaden“ übersetzen lässt.
Tatsächlich bedeutet Shinrinyoku, die Atmosphäre des Waldes, seine vielfältigen Reize, seinen Geruch, das Rascheln von Blättern, die verschiedenen Grüntöne mit allen Sinnen wahrzunehmen, um zu entspannen und körperlich davon zu profitieren. „Wer in den Wald hineingeht, kommt gesünder daraus hervor“, bringt es Umweltmedizinerin Dr. Daniela Haluza von der Medizinischen Universität Wien auf den Punkt.
Stresslevel sinkt, Herzratenvariabilität steigt
Auch hierzulande wird Waldbaden mehr und mehr zum Begriff, bis jetzt jedoch vor allem von Wellnesshotels angeboten und noch nicht ärztlich verordnet. Dabei wäre das durchaus sinnvoll, wie die Forschung zeigt. Daniela Haluza: „Gesichertes Wissen ist, dass ein Waldspaziergang Blutdruck und Puls senkt, ebenso den Spiegel von Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin, also den Stresshormonen. Am wichtigsten ist jedoch vermutlich, dass die Herzratenvariabilität steigt. Diese zeigt, wie gut das Herz-Kreislauf-System nach einer Belastungssituation wieder in den Ruhezustand findet und damit, wie gut sich der Organismus an Stress anpassen kann.“ Doktor Wald ist somit ein wunderbarer Helfer beim Entspannen. Das Faszinierende dabei: Sogar wenn Probanden im Labor lediglich Bilder eines Waldes sehen und Waldesrauschen hören, zeigt die Messung ihrer Gehirnströme, dass sie entspannen. So kann man sich sogar ein bisschen Wald nach Hause holen.
Das grüne Geheimnis
Wie kommt es, dass der Wald eine solche Wirkung auf den Menschen besitzt? Was ist sein Geheimnis? „Der Mensch hat seine Herkunft im Wald“, sagt Daniela Haluza. „Vor mehreren Millionen Jahren lebten unsere tierischen Vorfahren in den Bäumen, sie gaben uns Schutz, Nahrung und Schatten. Etwas von diesem Urinstinkt ist noch immer in unseren Genen verankert und wirkt bis in die heutige Zeit nach.“ Eine Tatsache, die sich Architekten, Raumplaner, Innenarchitekten und viele andere zunutze machen. Denn Studien haben gezeigt, dass Patienten im Krankenhaus weniger Schmerzmittel benötigen, wenn sie vom Krankenbett aus auf Bäume schauen können, Kinder in Schulen besser lernen, wenn die Klassenzimmer mit Zirbenholz ausgestattet sind oder Menschen besser schlafen, wenn ihr Bett aus Zirbenholz gemacht ist.
Je vielfältiger, desto besser
Die Effekte sind ausgeprägter, wenn es sich nicht nur um einen einzelnen Baum, einen Park, sondern einen „richtigen“ Wald handelt. Doch wann ist ein Wald „richtig“, wie muss er beschaffen sein, dass seine heilende Wirkung optimal zum Tragen kommt? Das sind genau die Fragen von Daniela Haluza, die sie als stellvertretende Leiterin des europaweiten Projekts „Dr. Forest: Baumdiversität und Gesundheit“ stellt. Zusammen mit Wissenschaftern aus den Bereichen Ökologie, Medizin, Biologie und Forstwissenschaft untersucht sie die gesundheitsfördernde Wirkung von unterschiedlichen Waldkulturen, und die ersten Ergebnisse liegen nun vor.
„Ab wann ein Wald ein Wald ist, ist für jeden Menschen anders. Jemand aus Schweden, wo die Wälder riesig sind, versteht unter einem Wald etwas ganz anderes als jemand aus Holland. Es kommt stark auf den geographischen und kulturellen Hintergrund an. Was wir aber wissen, ist, dass die gesundheitsfördernde Wirkung eines Waldes umso größer ist, je komplexer und vielfältiger er ist. Das heißt, wenn es viele verschiedene Baumarten gibt, junge und alte Bäume, Unterholz, Büsche, eine Vielzahl von verschiedenen Pflanzen wie Beeren und Pilzen, unterschiedliche Tiere, kurzum eine große Artenvielfalt. So ein Wald bietet eine ganz andere Bandbreite an Sinnesreizen, allein wenn man an die unterschiedlichen Jahreszeiten denkt."
Dr. Haluza weiter: „In so einem Wald ist die Erholungswirkung viel größer als in einem eintönigen, dunklen Föhrenwald, der nur der Holzproduktion dient.“ Selbst innerhalb eines Waldes gibt es Unterschiede in punkto Erholung. So zeigte sich, dass eine offene Lichtung mit Farnbewuchs und ein kleiner Bach von den Studienteilnehmern als erholsamer bewertet wurden als ein Platz mit dichtem Fichtenbewuchs, an dem es eher dunkel war. Daniela Haluza: „Schon vorangegangene Studien haben gezeigt, dass wir Menschen die Kombination von Grün und Blau, also Wasser, als angenehm empfinden.“
Zur Person:
Ass.-Prof. DDr. Daniela Haluza hat Humanmedizin und Angewandte Medizinische Wissenschaften studiert und ist Assistenzprofessorin mit Schwerpunkt Umweltmedizin am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien. Sie erforscht unter anderem, wie Stadtbegrünungen und Waldlandschaften zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden beitragen.