Zeit ist Geld: Was bedeutet das eigentlich?

„Zeit ist Geld“ – Das bekannte Zitat von Benjamin Franklin hat mehr als 250 Jahre auf dem Buckel. Dennoch spüren wir seine alltäglichen Konsequenzen akuter denn je. Warum? Was macht die Zeit zu einem so wertvollen Rohstoff. Und: Kommt sie uns abhanden?

blauer wecker auf sand
(c) Adobe Stock | JWS

Eine Wirtschaftsordnung funktioniert nur, wenn man sich auf Standards für den Warentausch einigt – einer der wichtigsten Standards ist die Zeit. Das galt bereits für die frühen Jäger und Sammler, allerdings haben wir den groben Zeitplänen der Natur im Zuge der industriellen Revolution ein “Upgrade” verpasst. Wir sind heute in der Lage, Zeit sehr viel präziser zu verwalten und zu monetarisieren. Zeit, Geld und Macht – sie hängen untrennbar zusammen.

So zeigt sich etwa in Studien, dass wirtschaftlicher Aufschwung immer mit der vorherrschenden Geschwindigkeit in einer Region zusammenhängt. Je schneller, desto reicher. Weltweit wird in Orten mit blühender Wirtschaft ein höheres Grundtempo gemessen: Menschen in den wohlhabenden Ländern Nordamerikas, Nordeuropas und Asiens leben in einer anderen “Zeitzone” als etwa Bewohner der Dritten Welt. Und das nicht nur geografisch!

Ursache und Wirkung sind dabei aber nicht eindeutig geklärt: Ebenso wie Geschwindigkeit zu Wohlstand führen kann, führt auch Wohlstand zu einer höheren Geschwindigkeit. Steigen etwa die Löhne in einer Stadt, bedeutet das, dass die Zeit der Arbeiter mehr wert ist. Ein Arbeiter, der den Wert seiner Zeit erlebt, wird mit ihr anders (“gewinnorientierter”) umgehen. Gleichzeitig steigen mit dem Pro-Kopf-Einkommen die Lebenshaltungskosten, sodass ein effizienter Umgang mit der eigenen Arbeitszeit notwendig wird. Das Tempo nimmt zu, das Leben wird hektischer.

Zeitsparen führt zu Zeitmangel

Außerdem: Je höher entwickelt eine Gesellschaft, desto weniger Freizeit. Eigentlich absurd, aber mit zeitsparenden Technologien (sei es nun Fließband oder Waschmaschine) verlieren wir mehr Mußestunden als wir gewinnen. Die Möglichkeit, Dinge schneller zu erledigen, führt schlicht dazu, dass wir in der vorhandenen Zeit mehr erledigen – die kostspielige technische Anschaffung muss sich ja rentieren!

Gerade in hochentwickelten Industrienationen ist diese Verbindung zwischen Zeit und Geld so stark geworden, dass sie unser Leben zutiefst beeinflusst. Kleiner Vergleich: Im Mittelalter gab es in Europa durchschnittlich 115 Urlaubstage pro Jahr. (Dafür keine Zahnmedizin und keine gesunden Zähne. Wir wollen also doch nicht dorthin zurück…)

Wir arbeiten auch in der Freizeit – und merken es gar nicht

Die Uhrzeit stellt also die Grundlage unserer Arbeit dar. Sie hilft uns, effektiv zu sein. Aber das hat seinen Preis. Menschen mit einem schnellen Lebensrhythmus sind auch weniger bereit, Bedürftigen zu helfen. Stattdessen helfen wir Unternehmen bei der Gewinnmaximierung – oftmals ohne es selber zu merken. Wir arbeiten ständig, auch in unserer Freizeit: An der Supermarktkasse scannen wir die Waren selber ein, wir verbringen Stunden damit, im Internet unseren Urlaub zu buchen (anstatt diese Arbeit einem Reisebüro zu überlassen), für einen bekannten schwedischen Möbelhersteller schrauben wir Tische zusammen. All das geschieht im Glauben, damit Geld zu sparen – wir zahlen jedoch trotzdem. Mit unserer Zeit.

Die französische Soziologin und Autorin Marie-Anne Dujarier sieht das sehr kritisch: “In gewisser Weise stiehlt man uns unsere Zeit. Viele Unternehmen betrachten Konsumenten heute als unbegrenzt verfügbare, motivierte und kostenlose Arbeitskräfte. Sie steigern damit ihre Produktivität, aber nicht unsere Lebensqualität.”

Für Dujarier gilt die Gleichung “Zeit ist Geld” durchaus. Allerdings in einer verschärften Interpretation: Unsere Zeit ist das Geld anderer.

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