Jugend unter Druck

Instagram-Filter, unrealistische Schönheitsideale und eine Latte, die durch scheinbar perfekte Influencer:innen unerreichbar hoch liegt – wie kommen junge Menschen damit zurecht? Spoiler: Besser als wir denken!

Wimpernzange, Puderdose und Schmuck auf Marmor-Hintergrund, davor Hände, die Social-Media-Posting auf Smartphone erstellen

Zweifellos eröffnen soziale Medien Spielfelder der Selbstinszenierung, vor allem auch für junge Menschen. Die Versuchung, den neuen Medien und technischen Möglichkeiten wie Filtern und Retuschen einen gestiegenen Optimierungsdruck auf die Jugend anzuhängen, ist groß. Aber so leicht dürfe man es sich nicht machen, sagt die Kultur- und Sozialanthropologin Suzana Jovicic. Druck entsteht ihren Forschungsergebnissen nach in erster Linie durch Zukunftsängste sowie hohe schulische und gesellschaftliche Erwartungen.

Altbekanntes Phänomen

Es herrscht eine große Sorge vor Beschleunigung, Informationsüberflutung und daraus resultierenden „nervösen Störungen“. Welcher Zeit würden Sie diese Botschaft zuordnen? Wohl nicht jener, aus der sie stammt, nämlich dem 19. Jahrhundert – 150 Jahre vor der Erfindung des Internets: „Das zeigt, dass sich manchmal nur die Wahrnehmung oder Bewertung gesellschaftlicher Phänomene ändert, nicht aber das Phänomen selbst“, sagt Kulturanthropologin Jovicic. 

Ähnlich verhalte es sich laut Jovicic mit den angeblichen Gefahren, die durch die sozialen Medien speziell auf junge Frauen lauern sollen: „Die Bilder von idealisierten und sexualisierten Frauenkörpern sind keine Erfindung der sozialen Medien. Künstlerische Darstellungen der letzten 2000 Jahre, die lange Geschichte der Fotobearbeitung, unzählige Magazine, TV-Sendungen oder riesige Werbetafeln mit idealisierten Frauenkörpern in Bikinis haben dazu beigetragen und tun es weiterhin. Es geht weniger darum, soziale Medien als vermeintlich Schuldige zu regulieren, sondern darum, sich als Gesellschaft mit diesen Bildern oder mit Geschlecht und Sexualität im Allgemeinen auseinanderzusetzen – in der Schule, in den Medien, in der Politik. Soziale Medien sind vielleicht ein Symptom, aber nicht die Ursache.“

Junge Menschen können Medien gut steuern

Bei ihren einschlägigen Forschungen in der Millionenmetropole Wien traf Jovicic demnach auch nur selten auf junge Menschen, die von einem Optimierungsdruck in sozialen Medien betroffen waren: „Die sozialen Kanäle sind teilweise steuerbar, und die Nutzer:innen können bestimmen, welche Inhalte und Influencer:innen sie sehen. Daraus lernen die Algorithmen, ob Interesse an bestimmten Inhalten besteht.“ 

Außerdem berichtet die Wissenschaftlerin von einer alles andere als eindeutigen Studienlage: „Auf jede Studie, in der negative Folgen durch soziale Medien gefunden werden, kommt eine, in die auch positive Effekte einfließen – zum Beispiel, wenn alternative Gruppen wie „body positivity movement“ gesucht werden oder sich junge Frauen mit Gleichaltrigen austauschen können, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.“ Für die Anthropologin ist die Beschäftigung mit dem Selbstbild im jugendlichen Alter nichts grundsätzlich Problematisches, und sie hat die Erfahrung gemacht, dass so manche Behauptung einer genaueren Überprüfung nicht immer standhält: „Nur sehr wenige junge Frauen, die ich getroffen habe, posten zum Beispiel tatsächlich Selfies. Das ist also ein Phänomen, das in der öffentlichen Diskussion sehr präsent, in der Realität aber vielleicht nicht so weit verbreitet ist.“

Produktivitätsdruck ist das größere Übel

Jovicic stellte bei ihren Untersuchungen fest, dass der Druck unter Jugendlichen und jungen Frauen nicht im Zusammenhang mit den sozialen Medien steht, sondern mit schulischen oder gesellschaftlichen Erwartungen und Zukunftsängsten: „Ich habe viele Schüler:innen getroffen, die unter der Woche das Haus nicht verlassen haben, weil sie für die Schule lernten und ein schlechtes Gewissen gehabt hätten, sich mit Freund:innen zu treffen und unstrukturierte Freizeit zu genießen.“ 

Die Forscherin ortet einen großen Produktivitätsdruck bereits bei jungen Menschen. Wenn die das Gefühl haben, dem nicht zu entsprechen, kann das dann aber durchaus so kompensiert werden, dass sie stundenlang mit Freund:innen online in sozialen Medien „abhängen“ oder Streamingdienste konsumieren. Ein möglicher Teufelskreis, der sich aber letztlich um ein Symptom dreht und meist die wahren Ursachen außen vorlässt.

Gesucht: echtes Interesse

Eltern rät die Kultur- und Sozialanthropologin, keine Einschränkungen oder Maßnahmen aufgrund eines oberflächlichen Eindrucks zu treffen: „Sie sollten echtes Interesse daran zeigen, was junge Menschen online tun, anstatt zu belehren oder zu sanktionieren. Die meisten Jugendlichen, die ich im Rahmen meiner Forschung getroffen habe, gehen sehr reflektiert mit sozialen Medien um, haben aber auch eine Menge Schuldgefühle, wenn sie zu viel Zeit damit verbringen. Da Smartphones und die Inhalte darauf auch zur Emotionsregulierung genutzt werden, kann die Verstärkung der Schuldgefühle oder des Leistungsdrucks seitens der Eltern das Gegenteil bewirken.“ 

Denn schließlich, erinnert Jovicic, sei die Pubertät nicht die Zeit zur Ausbildung perfekter Erwachsener, sondern eine des Ausprobierens und der ersten eigenständigen Erfahrungen: „Misstrauen und ein Übermaß an Kontrolle sind da nicht zielführend. Das würde nicht zu verändertem, sondern nur zu verstecktem Verhalten führen.“

Suzana Jovicic © beigestellt
Suzana Jovicic © beigestellt

Zur Person

Dr. Suzana Jovicic MSc ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit digitalen Praktiken junger Menschen. Derzeit ist sie Leiterin des Projektes „Smartphone Addiction“ des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF). Sie ist Mitbegründerin der „Digital Ethography Initiative“ und Vorstand des „European Network for Psychological Anthropology“.

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