Mentales Fasten: Weniger vom Zuviel

Fasten kann man auf viele Arten, auch mental. 
carpe diem Autorin Felicitas Freise über die Entlastung von Geist und Seele.

frau meditiert auf yogamatte
(c) UNIQA | Melina Kutelas

Wir schreiben das Jahr 1980. Wenn ich morgens aufstehe, liefern Radio und Zeitung Informationen zum Weltgeschehen. Ich gehe ins Gymnasium, und will ich während des Unterrichts meiner Freundin mitteilen, wie urcool der Stevie aus der 7B ist, muss ich es auf einen Zettel schreiben und ihn ihr heimlich zustecken. Am Nachmittag dann Aufgaben machen, und wenn ich etwas nicht weiß, rufe ich auch meine Freundin an. Auf dem Festnetz. Abends darf ich noch etwas fernsehen. Entweder FS1 oder FS2. Mein Tagesablauf ist zwar eng getaktet, aber ich fühle mich weder gestresst noch überfordert.

Überflutet von Reizen

Vierzig Jahre später ist alles anders. Zum Frühstück gibt es Nachrichten aus Radio, TV, Internet oder Zeitung. Zusätzlich informieren mich Twitter, Facebook, Instagram, Snapchat, Mails und Kurznachrichten über die Befindlichkeiten von Freunden, Familie, Kolleg:innen und (Un-)Bekannten. Und dies bleibt so während des ganzen Tages. Ständig klingeln sich Benachrichtigungen in mein Bewusstsein. Zur abendlichen Ablenkung stehen mir nun zig TV Sender, Streamingdienste, Videoportale und Spieleplattformen zur Verfügung. Meine Tage sind nicht nur eng getaktet, zusätzlich fühle ich mich immer stärker gestresst und überfordert.

Kein Wunder, sind meine geistige Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit doch nicht im Geringsten mit der Anzahl der neuen Reizquellen mitgewachsen. Im wilden Strudel von Informationen, die sich alle mit derselben Vehemenz in mein Bewusstsein drängen, drohe ich den Überblick zu verlieren, was in meinem Leben tatsächlich wichtig ist. Will ich mein Stresslevel verringern, ist es also höchste Zeit, mich selbst auf elektronische Diät zu setzen und mental zu fasten.

Apropos elektronische Diät

Auf Handy, Tablet, Laptop zu verzichten gelingt uns gar nicht so einfach. Hier weiterlesen: Wie Digital Detox durchhalten?

Ein Werkzeug ist ein Werkzeug

Im ersten Schritt beschließe ich, die Kontrolle über meine elektronische Kommunikation wieder aktiv in die Hand zu nehmen und bestimme strikt, wann Mails und andere elektronische Benachrichtigungen meine Aufmerksamkeit bekommen. Definitiv nicht vor dem Frühstück und nach dem Schlafengehen. Push-Benachrichtigungen stelle ich ebenfalls ab. Die Krise im Englischen Königshaus und irgendwelche Cartoons, die in WhatsApp Gruppen geteilt werden, können warten. Die Lautlos-Taste wird zu meiner Freundin und die Anklopf-Funktion verbannt. Kurzum: Ich entmachte mein Smartphone. Schließlich wurde es für den Menschen geschaffen und nicht umgekehrt.

Die Farbe der Gedanken

Als nächstes schaue ich mir die Inhalte an, mit denen ich mein Hirn tagtäglich füttere. Nach dem umgekehrten Aschenputtel-Prinzip: die schlechten ins Töpfchen und (vor allem) die guten ins Kröpfchen. Bringt mich der „Sturm der Liebe“ eine Stufe weiter auf der Erleuchtungsleiter oder doch lieber die Doku auf Arte? Nützt die Hysterie über 5G in einer Facebookgruppe meinem Wissensstand mehr oder der Artikel in einem naturwissenschaftlichen Magazin? Dabei muss ich mir eingestehen, dass ich mein Hirn mit ganz schön viel geistigem Junkfood zumülle und Qualität statt Quantität die bessere Entscheidung wäre.

Neben diesem Infomüll hat sich im Laufe der Zeit auch einiges an unnützen Gewohnheiten und hinderlichen Glaubenssätzen angesammelt, die mir das Leben erschweren. Eine Wohnung muss wöchentlich blitzblank geputzt werden? An Regentagen darf man nicht im Bett rumknotzen? Da tönt doch klar die Stimme meiner Mutter durch. Und wer hat stets gesagt: Das kannst du nicht, das schaffst du nicht, du bist zu dumm dafür? Auch das klingt schwer nach einem Elternteil. Nur bin ich mittlerweile erwachsen. Warum also sollte mich jemand weiterhin derart gängeln? Höchste Zeit, auch diese Altlasten auszumustern. Schließlich warnte schon der Philosoph Marc Aurel: „Mit der Zeit nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an.“

Im Hier und Jetzt

Statt Multitasking heißt es bei mir nun wieder Monotasking. Hirnforscher haben die Behauptung, der Menschen sei fähig, Dinge gleichzeitig zu erledigen, nämlich schon längst in den Bereich der Legenden verwiesen. Und das gilt auch für berufstätige Mütter.

Wer mehrere Sachen gleichzeitig macht, macht keine davon fokussiert. Schaue ich beim Essen die TV-Nachrichten, genieße ich mein Essen wesentlich weniger und merke schwieriger, wann ich satt bin. Vermutlich würde ich auch nicht besonders gut abschneiden, wenn mich Armin Wolf danach anruft und die Inhalte der ZiB2 abfragt. Widme ich dagegen meine volle Aufmerksamkeit nur dem, was ich im Moment tue, bin ich im Hier und Jetzt. Und das senkt nachweislich das Stresslevel.

Die Natur als Taktgeber

Auf dem Weg des mentalen Abspeckens werden Tiere und Pflanzen meine Begleiter und Vorbilder. Meine Katze kennt kein Multitasking. Während ich sie kraule, schielt sie nicht nach ihrer Plüschmaus, sondern genießt jede einzelne Streicheleinheit. Und jeder Waldspaziergang zeigt mir, dass es wesentliche größere Zeiteinheiten gibt als den Abstand zwischen Tweet und Retweet. Bäume brauchen Jahrzehnte, um zu ihrer vollen Größe zu wachsen und fragen nicht, ob es Mittel gäbe, diesen Prozess abzukürzen. Auch ist es ihnen völlig egal, welche Moden derzeit hipp und angesagt sind. Ihre Unaufgeregtheit und Ruhe wirken ansteckend, sodass ich nach jedem Waldspaziergang erst recht spüre: „Was ich wirklich brauche, ist ein Weniger vom Zuviel.“

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