Sind Sie Hochsensibel? 

Laute Musik, grelles Licht oder einfach nur eine Umarmung. Für manche Menschen sind solche Reize zu viel. Warum und wie wir mit Hochsensibilität gut umgehen können. 

Leute sitzen im Schneidersitz

Dass sich manche Kinder beim Haareschneiden verhalten, als ginge es um Leben und Tod, ist eine Erfahrung, die viele Eltern machen. Und häufig lautet ihre Aufforderung an den Nachwuchs „Stell´ dich nicht so an“ oder „Reiß´ dich zusammen“. 

Eine Aufforderung, die vielleicht gut gemeint ist, aber besonders ungünstig, wenn das Kind hochsensibel ist. Ein Begriff, der erst vor wenigen Jahren Eingang ins Vokabular der Wissenschaft gefunden hat und alles andere als klar abgegrenzt ist.  

Niedrige Reizschwelle 

„Für mich als Ergotherapeutin bedeutet Hochsensibilität, dass ich im Vergleich zu anderen Menschen bestimmte Reize aus einem ganz bestimmten Sinnesbereich intensiver oder auch genauer wahrnehmen kann. Das bedeutet auch, dass die Reizschwelle in einem bestimmten Sinnesbereich niedriger ist“, sagt Mira-Marlene Zajicek. 

Das können Fernsinne sein wie: 
Hören – laute Musik oder Geräusche, Lärm 
Sehen – kleine Details bei Bildern oder grelle Farben 
Riechen – intensive oder unangenehme Gerüche 

… oder Nahsinne wie: 
Schmecken – ein unangenehmer Geschmack 
Berührungen – z.B. Umarmung oder Kitzeln 
Wahrnehmungen - körperinnerer Empfindungen (wie z.B.: Schmerz, Durstgefühl, Harndrang - sogenannte "Interozeption") 

  • … oder auch: 
    • Stimmungen und Emotionen von anderen Menschen oder aus der Umgebung 
  • Intensive Reaktionen

    Wenn jemand in einem bestimmten Sinnesbereich hochsensibel ist, heißt das nicht, dass er es in einem anderen auch ist. In meiner Arbeit erlebe ich es oft, dass jemand zum Beispiel in den Fernsinnen überempfindlich ist, aber in den Nahsinnen, was den eigenen Körper betrifft, unterempfindlich ist,“ erzählt Zajicek. 

  • Die Folge können sehr starke, intensive Reaktionen auf solche Reize sein. Hochsensible Kinder oder Erwachsene benötigen daher mehr Zeit, um diese Reize zu verarbeiten und wieder in Balance zu kommen.

Uraltes Phänomen 

Für die Wissenschaft ist der Begriff "Hochsensibilität" vergleichsweise neu und bis dato unscharf abgegrenzt. Und auch wenn es vielleicht scheint, als sei es (aus Verlegenheit) eine neue Modediagnose, ist das Phänomen Hochsensibilität uralt, wie Zajicek zu bedenken gibt: „Es hat immer schon hochsensible Menschen und auch Tiere gegeben. Denn es war evolutionär sehr wichtig zu erkennen, ob mich ein Augenpaar von einem Raubtier aus einem Busch heraus beobachtet. Wir sind heute einfach besser und aufmerksamer geworden, Hochsensibilität an einem Menschen festzustellen.“ 

Irrtümer & Fakten 

Hochsensible Menschen …. 

  • … sind nicht in allen Sinnesbereichen hochsensibel. Überforderung tritt meist nur in einem oder mehreren Sinnesbereichen auf. 

  • legen nicht automatisch ein aktives Vermeidungsverhalten an den Tag. Manche Menschen verhalten sich auch passiv, obwohl es schon längst zu viel wäre. 

  • ... reagieren nicht automatisch intensiv emotional

  • … sind schneller anfällig für psychische und stressbedingte Erkrankungen wie Depressionen, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen oder Ängste. 

  • brauchen viel mehr Pausen, weil sie viel mehr Reize verarbeiten müssen als nicht-hochsensible Menschen. 

Hochsensibilität erkennen 

Um Hochsensibilität zu befunden, gibt es psychologische und ergotherapeutische Tests. Häufig hilft es aber schon, bei Kindern auf gewisse Anzeichen zu achten

  • Zeigt ein Kind bei manchen Dingen sehr starke emotionale Reaktionen?  
  • Hat es Schwierigkeiten, sich selbst wieder zu regulieren?  
  • Vermeidungsverhalten: Gibt es etwas, das das Kind sehr stark vermeidet oder einfach gar nicht macht? 
  • Ist das Kind sehr schnell erschöpft?
  • Verschließt es sich rasch von der Außenwelt oder wendet sich ab, weil es ihm zu viel ist? 


Gut zu wissen

Autistisch oder hochsensibel?
Per Definition sind Autismus-Spektrum-Störungen tiefgreifende Entwicklungsstörungen des frühen Kindesalters, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires eines Menschen auswirken können. Autistische Menschen sind sehr oft hochsensibel, weisen dabei aber auch andere Diagnosekriterien auf. Bei hochsensiblen Menschen steht die Hochsensibilität für sich allein. 

Kein Nachteil ohne Vorteil 

Hochsensibilität hat neben manchen Schattenseiten zugleich auch Vorteile: „Die höhere Wahrnehmungssensitivität in einem bestimmten Sinnesbereich kann auch hilfreich sein, schneller im Job Fehler identifizieren zu können. Das kann in Betrieben eine sehr wichtige Qualität sein, Stichwort Controlling”, erklärt die Expertin. „Hochsensible Menschen sind wertvolle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, wo es auf Genauigkeit oder kleine Details ankommt. In der Arbeit mit Menschen kann Hochsensibilität auch zu mehr Empathie verhelfen, weil man responsiver und sensitiver auf Zeichen, Gefühle und Körpersprache reagieren kann.“ 

Und weiter: „Natürlich ist Hochsensibilität auch für alle Kreativen oder künstlerischen Berufe ein enormer Vorteil, etwa mit einer höheren Sensitivität für Sprache, visuelle, auditive oder emotionale Bereiche.“  

Rahmenbedingungen schaffen 

Hat man ein hochsensibles Kind gilt es, besondere Rahmenbedingungen für sein gesundes Aufwachsen zu schaffen. „Ein guter erster Schritt wäre, Hochsensibilität von Psycholog:innen oder Ergotherapeut:innen feststellen zu lassen, sodass auch das Kind weiß, in welchem Bereich es hochsensibel ist und wie es damit umgehen kann”, rät Zajicek. Dann gelte es zu schauen, welche Reize minimiert werden können, damit es nicht dauernd zu einer Überbelastung kommt und nicht zu einer vielleicht noch größeren Übersensibilität. Weitere Themen sind Selbstregulation und Selbstberuhigung, bei Erwachsenen “Selbstmanagement” genannt. „Konkret heißt das, zusammen mit dem Kind zu überlegen: Welche Strategien habe ich, wenn mich ein Reiz stark aus der Fassung bringt? Wie komme ich dann wieder gut in meine Balance? Wo verlaufen meine Grenzen, was sind meine Bedürfnisse und wie kommuniziere ich das meiner Umwelt?“, erklärt Zajicek. 

Mira-Marlene Zajicek, BSc
Mira-Marlene Zajicek

Zur Person:

Mira-Marlene Zajicek, BSc. ist Ergotherapeutin für autistische Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Referentin und Mentaltrainerin sowie Hypnosystemische Coachin in Ausbildung. 


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