Mentale Gesundheit: Wie geht es mir?
Bin ich nur traurig oder bahnt sich eine Depression an? Bin ich überfordert oder am Rande eines Burnouts? Neurologe Dr. Wolfgang Lalouschek über die Signale der Seele.
Obwohl es spürbar Frühling wird, fühlt sich Astrid S. ständig niedergeschlagen, hat immer weniger Freude an Dingen, die ihr früher Spaß gemacht haben und kommt zunehmend schwerer morgens aus dem Bett. Als sie einer Freundin ihr Leid klagt, antwortet diese: „Das hört sich nach einer Depression an.“ Ist dauernde Niedergeschlagenheit eine Befindlichkeitsstörung oder tatsächlich eine Depression und wo verläuft die Grenze zwischen den beiden?
Möglichkeit zur Entwicklung
„Von einer psychischen Erkrankung würde ich sprechen, wenn es eine Beeinträchtigung meines psychischen Wohlbefindens gibt, die mir ein Leben in einer von mir angestrebten Lebensqualität nicht ermöglicht“, sagt Neurologe Dr. Wolfgang Lalouschek und fügt hinzu: „Ich bin jedoch sehr vorsichtig mit solchen Definitionen. Weil aus meiner Sicht viele psychische Erkrankungen Entwicklungskrisen sind. Etwas in mir möchte sich entfalten und entwickeln, oder es ist belastet und möchte eine Entwicklung haben. So geht es im psychischen Bereich manchmal nicht darum, die Symptome sofort mittels Medikamente weg zu therapieren, sondern zuerst zu fragen, was sie bedeuten. Es ist also oft weniger die Frage, bin ich krank, wenn ich traurig bin, sondern was will mir meine Traurigkeit sagen.“
Rahmenbedingungen und äußere Einflüsse
Ein anderer Faktor, der mentalen Störungen zugrunde liegen kann, sind Lebensbedingungen und äußere Einflüsse. Der Wissenschaftsjournalist Bas Kast stellt in seinem jüngsten Buch „Kompass für die Seele“ die Frage nach den Faktoren, die Resilienz und innere Stärke bedingen und definiert unter anderem Ernährung, Bewegung, Naturkontakt und Schlaf als Einflussfaktoren für psychische Gesundheit.
Ursprünglich stammt der Begriff Resilienz aus der Entwicklungspsychologie und bezeichnete die Fähigkeit von Kindern, sich trotz widriger Lebensumstände gut zu entwickeln. Heute versteht man darunter nicht nur die seelische Widerstandskraft eines Menschen, sondern auch seine Fähigkeit, flexibel auf wechselnde Herausforderungen zu reagieren und mit stressreichen Situationen gut fertig zu werden.
Lalouschek: „Schaut man sich beispielsweise an, wie Kinder heutzutage meist leben, nämlich mit Bewegungsmangel, einer Ernährung, die zuckerreich ist und Ablenkung mittels Smartphones, hat man die Faktoren, welche ADHS (= Aufmerksamkeitsdefizitstörung) wenn schon nicht verursachen dann zumindest begünstigen.“
Ähnliches gilt auch für andere mentale Störungen. So kann man sich bei Depressionen fragen, unter welchen Rahmenbedingungen lebe ich? Was ist mit meinen sozialen Kontakten, meinen Beziehungen, meiner Zufriedenheit im Beruf und meiner Möglichkeit, ein erfülltes Leben zu führen?
Mut zur Reflexion
„Ich möchte nicht jemanden auffordern, sich selbst eine Diagnose zu stellen, sondern sich rechtzeitig professionelle Unterstützung zu gönnen von einer externen Person, die fachliche Kompetenz hat“, betont Lalouschek und weiter: „Wenn ich mich über einen längeren Zeitraum signifikant beeinträchtigt fühle, sollte ich externe Hilfe suchen. Das Problem ist, dass viele Phänomene schleichend sind, eine Entwicklung oft über Jahre hinweg stattfindet und viele Menschen sich irgendwie daran gewöhnen, dass es ihnen nicht gut geht. Der erste Schritt ist immer das Innehalten und Reflektieren, wie es mir wirklich geht. Wie geht es mir im Vergleich zu früher und was wünsche ich mir stattdessen? Viele Menschen agieren ständig, weil sie sich sonst eingestehen müssen, dass es ihnen nicht gut geht und sie Konsequenzen daraus ziehen müssten. Das Innehalten und Reflektieren erfordert Mut, aber das Ergebnis ist es wert.“
Buchtipps
Zwei Buchtipps, um die eigene mentale Gesundheit zu stärken.
- Der Tag, an dem ich alles hinschmeiße - Wege aus der Krise und wie man sie findet von Wolfgang Lalouschek, ecowin 2019. Anhand vieler Beispiele erörtert der Neurologe die Faktoren, die uns psychisch gesund erhalten und zu einer gesunden Entwicklung verhelfen können. Er geht der Frage nach, wie unser Gehirn und die Stressverarbeitung funktionieren sowie zeigt Aspekte persönlicher Entwicklung auf.
- Kompass für die Seele
von Bas Kast, C. Bertelsmann 2023. In seinem neuen Buch geht Bestsellerautor Bas Kast der Frage nach, was wir selbst dafür tun können, um (wieder) in die innere Balance zu finden. Auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und vieler Selbstversuche stellt er zehn alltagstaugliche und leicht anzuwendende Strategien vor, die gegen Alltagsstress, chronische Erschöpfung und depressive Verstimmungen helfen. Ein Kompass für alle, die nach mehr Energie, Ausgeglichenheit und Freude im Leben suchen.
Zur Person:
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Lalouschek ist Facharzt für Neurologie, systemischer Coach und medizinischer Leiter des Gesundheitszentrums „The Tree“, einem interdisziplinären Gesundheitszentrum für Stressbewältigung und Burnout.