Pandemiemüde? So helfen wir unseren Kindern zurück in den Alltag
Für Kinder und Erwachsene hatten die Lockdowns eine jeweils unterschiedliche Bedeutung. Die Jugendpsychologin Caroline Culen erklärt, warum das so war - und wie wichtig für die Jüngsten jetzt ein entspannter Sommer im Freundeskreis ist.
Dass Zeit relativ ist und sich eine Zeitspanne unterschiedlich lang anfühlen kann, weiß jeder Mensch aus eigener Erfahrung. Bei Kindern geht es jedoch nicht nur um die subjektive Wahrnehmung. „Im Alter von zehn bis 16 Jahren finden wichtige Entwicklungsschritte statt: Es entwickelt sich die Autonomie, man lernt Kontakte zu knüpfen, auch zu Menschen, die man noch nicht kennt. Es werden Werthaltungen abgeklärt und soziale Kompetenzen erworben“, erklärt die Kinder- und Jugendpsychologin Caroline Culen. Während der Lockdowns und bedingt durch die soziale Isolation konnte all das nicht stattfinden.
„Zusätzlich legte sich die fehlende Nähe zu den anderen Kindern und Jugendlichen auf die Psyche“, ergänzt Culen. „Es heißt, psychische Erkrankungen hätten bei Kindern zugenommen.“ Dabei seien viele Symptome eine normale Reaktion auf die Bedrohungssituation. „Ängste, Rückzug, Bauchschmerzen, Depressionen oder Schlafstörungen sind normale Anpassungsreaktionen auf eine Krisensituation. Bei manchen Kindern werden sich Störungen auflösen, wenn sich die Pandemiesituation entspannt und sie das Gefühl haben, dass es wieder eine Zukunftsperspektive gibt. Andere werden möglicherweise chronische Krankheiten entwickeln.“ Es ist wichtig, sie in dieser Situation nicht allein zu lassen: Je nach Belastungsstufe hilft das Auffangen in der Familie oder professionelle Hilfe.“
Anerkennung rückmelden
Wenn Eltern generell beim Aufwachsen eines Kindes wie Leuchttürme sind, die Halt und Orientierung bieten, sind sie es umso mehr in Krisensituationen: „Wie gut ein Kind durch die Pandemie gekommen ist, hängt auch damit zusammen, wie seine Eltern reagiert haben, weil sie natürlich Vorbildwirkung besitzen“, sagt Culen.
Ein Kind hat noch keine Erfahrung damit, wie es schwierige Lebenserfahrungen meistern kann, oder es hat das Gefühl „es wird nie wieder anders“, einfach weil es viel weniger Vergleichswerte zu früher hat als Erwachsene. „Deshalb ist es wichtig, Zuversicht, Hoffnung, Gelassenheit und Sicherheit auszustrahlen, um ihnen das Gefühl zu geben, dass sich die Situation wieder verändern wird“, unterstreicht die Expertin.
Ebenso essenziell sei es, die Leistung der Kinder der vergangenen 14 Monate anzuerkennen und ihnen rückzumelden, dass es großartig ist, was sie geschafft haben. Denn: „Kinder mussten ganz viel mittragen, aber hatten viel weniger Bewältigungsstrategien zur Hand und viel weniger Möglichkeiten auszugleichen als Erwachsene“, so Caroline Culen.
Den Sommer genießen
Jetzt ist es vorrangig, den Kindern unbeschwerte Sommerferien zu ermöglichen, in denen sie das erleben können, worauf sie so lange verzichten mussten. Culen: „Es geht nicht nur darum, etwaige Lerndefizite aufzuholen - die Kinder sind das ganze letzte Jahr vor dem PC gesessen und haben gelernt. Jetzt geht es darum, dass sie neue Erfahrungen machen, die mit Körper und Gemeinschaft zu tun haben.“
Was jetzt essenziell ist: Unterstützung und vor allem Angebote, die über Gruppen funktionieren, wie Freizeiteinrichtungen oder Jugendarbeit, gerade weil Kinder darauf so lange verzichten mussten. Dazu gehören gemeinsames Erleben, körperliche Nähe, sinnliche Erfahrungen wie etwa gemeinsam ein Lagerfeuer machen, miteinander kochen oder die Natur erleben. „Diese physische Gemeinschaft und sinnliche Erlebnisse sind es, die Kindern helfen, wieder in eine Normalität zurückzufinden. Und das muss nichts Außergewöhnliches sein“, unterstreicht die Psychologin. „Was wir Erwachsene manchmal als unspektakulär empfinden, wie zum Beispiel gemeinsames Musizieren oder Sport machen, ist für Kinder eine ganz besondere Sache.“
Zur Person:
Mag.a Dr.in Caroline Culen hat als Kinder- und Jugendpsychologin langjährige Erfahrung mit Kindern und im Kinderschutz. Sie ist ausgebildete Klinische- und Gesundheitspsychologin, Geschäftsführerin der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit und selbst Mutter von vier Kindern.