Stress bei Kindern: Wie der (Schul-)Alltag entspannt gelingen kann
Digitalisierung und Pandemie-bedingtes Homeschooling stellten Schulkinder zuletzt vor besondere Herausforderungen. Neue Stressfaktoren tauchten dadurch auf, und da gilt es gegenzusteuern. Für Mag. Robert Tschaut von der Bildungsdirektion Salzburg heißt das: So viel wie möglich raus aus den Klassenzimmern und rein in gemeinsame Unternehmungen.
„Vor allem die langen Phasen des Heimunterrichts ohne tatsächlichen Kontakt zur Klassengemeinschaft haben deutliche Spuren hinterlassen“, sagt Robert Tschaut, der als Fachinspektor für Bewegung und Sport nicht nur im körperlichen Bereich enormen Aufholbedarf ortet: „Da ist es natürlich am augenscheinlichsten festzustellen, aber mindestens genauso stark sind die Auswirkungen im psychischen Bereich – es wird sehr lange dauern, hier wieder Veränderungen zu bewirken.“
Das Kognitive, das Lernen an sich, ist für den Salzburger Schulexperten das kleinste der Probleme für die Schüler:innen: „Die sind ja in der digitalen Welt sehr fit und finden schnell Lösungen. Aber soziale Kontakte untereinander kann kein Bildschirm ersetzen, und da brauchen wir viel Kreativität, Einsatz und Angebote, um wieder Boden gut zu machen.“
Raus aus der Klasse, rein ins Erleben
Tschaut hat es in seinem Spezialgebiet Bewegung und Sport hautnah erlebt: „Als die ersten Schulsport-Events endlich wieder stattfinden konnten, war das wie ein Ventil. So ein intensives gemeinsames Glücksgefühl habe ich bei den Kindern selten erlebt, da war plötzlich wieder ein Glanz in den Augen.“
Wobei es dabei für Tschaut neben der Bewegung vor allem um das gemeinsame Erleben ging: „Das war es, was den Schülerinnen und Schülern hauptsächlich zugesetzt hatte. Technisch war Unterricht ja auch in der Gruppe via Computer möglich. Aber dabei sieht man die anderen zwar, spürt sie aber nicht mehr – und das war vor allem für die etwas älteren Schülerinnen und Schülern, die ihren menschlichen Lern- und Erfahrungsraum nicht mehr daheim in den vier Wänden haben, sondern raus in die Welt wollen, um zu experimentieren und auszuprobieren, ein enormer Stressfaktor.“
Wie äußert sich Stress und wie erkennen ihn die Eltern?
Wobei in Sachen Schüler und Stressbewältigung auch ganz klar die Eltern in der Pflicht sind. Es gilt: Hinschauen statt Wegschauen. „Stress zeigt sich in auffälligen Verhaltensänderungen der Kinder, zumeist im Rückzug und in Kommunikationsverweigerung mit Erwachsenen, also etwa mit Eltern und Lehrern“, sagt Tschaut. Seltener, aber doch, kann auch genau das gegenteilige Verhalten ein Stresssymptom sein – wenn also Jugendliche total überdreht agieren. Auch starke schulische Leistungsschwankungen sind ein Indiz. Tschaut: „Man muss in allen Fällen aber darauf achten, ob es sich um Stress oder ganz normale entwicklungsbedingte Phasen mit hormonellen Umstellungen handelt. In jedem Fall gilt: Das Gespräch suchen und sich von anfänglicher Verweigerung seitens des Kindes nicht abwimmeln lassen. Das Schlimmste ist nämlich, über den Stress und seine Ursachen zu schweigen.“
Peer Groups sind wichtiger denn je
Ein harmonisches soziales Miteinander ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist Übungssache, also in gewisser Weise auch eine Frage der Gewohnheit. Schulen machen deshalb oft Angebote für gemeinsame Erlebnisse. Steht statt mathematischer Formeln oder Französisch-Vokabeln etwa ein Wandertag am Stundenplan, dient dies in erster Linie dem Abbau von sozialem Stress. „Man glaubt ja nicht, wie schnell das geht, aber nach den Pandemie-bedingten Schulsperren hat sich das Verhalten der Schülerinnen und Schülern untereinander stark verändert. Da gab es plötzlich ganz neue Gruppendynamiken, und Klassenteams mussten neu geformt werden“, erzählt Tschaut aus der Schulpraxis.
Neben Sportveranstaltungen und gemeinsamen Unternehmungen kommt für den Salzburger Schul-Fachinspektor auch den Peer Groups aktuell enorme Bedeutung zu: „Kommunikation mit Gleichaltrigen auf Augenhöhe und in einer verständlichen Sprache ist momentan wichtiger denn je. Vermittlung von Inhalten funktioniert dann am besten, wenn du die Sprache der Generation sprichst – und das können die Kids untereinander besser.“
Raus aus der Klasse, rein in die Natur
Was seit der Pandemie – als Ausgleich zum digitalen Lernen - ganz besonders an Bedeutung gewonnen hat: „Wir müssen mit den Schülerinnen und Schülern so oft es geht auch die Umgebung verändern, raus aus den Klassenzimmern und hinein in die Natur, um gemeinsames Erleben wieder zu stärken."
Eine Art neuer Unterrichtsgegenstand ist zwingend nötig, meint Tschaut: „Es ist dringend notwendig, dass wir bei aller Wissensvermittlung parallel das soziale Miteinander laufen lassen.“
Die Digitalisierung und Pandemie haben für Schüler:innen demnach neue Stressfaktoren geschaffen. Es ist wichtig, das soziale Miteinander, den Austausch von Mensch zu Mensch, nicht nur als Ausgleich zur Computerarbeit, sondern als wichtigen Faktor mentaler Gesundheit zu pflegen. Sport und gemeinsame Aktivitäten in der Natur helfen dabei entscheidend.
Zur Person
Mag. Robert Tschaut ist Fachinspektor für Bewegung und Sport in der Bildungsdirektion für Salzburg. Der 55-Jährige hat vor dieser Tätigkeit 16 Jahre lang als AHS-Lehrer Mathematik und Sport unterrichtet.